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WebWecker Bielefeld , 28.04.2004 :

Folter und Mißhandlungen drohen

Am vergangenen Samstag versammelten sich circa 50 Menschen aus Tschetschenien und einige deutsche SympatisantInnen auf dem Jahnplatz, um gegen drohende Abschiebungen zu protestieren.

Von Manfred Horn

So wurde in der vergangenen Woche der 19-jährige Anzor I. aus dem Kreis Minden-Lübbecke nach Russland abgeschoben. Die 25-jährige Malila A. aus dem Kreis Gütersloh sitzt seit Wochen in Abschiebehaft in Neuss. Der 24-jährige Khasim S. aus Herford bekam nach der Ablehnung seines Asylantrages nur eine Grenzübertrittsbescheinigung ausgehändigt. Aus Angst vor seiner Festnahme und Abschiebung wagte er sich nicht mehr zur Ausländerbehörde, um die Bescheinigung zu verlängern.

Drohende Abschiebungen verstärken die quälende Angst, die die circa 200 in Ostwestfalen lebenden Flüchtlinge aus dem Krieg, den Razzien, infolge der erlebten Gewalt mitgebracht haben. Der 33-jährige Musa M. aus dem Landkreis Cloppenburg nahm sich am 4. März 2004 das Leben. Bei der Antragstellung berichtete er von seiner Festnahme und brutalen Verhören in durch russische Behörden. Das Bundesamt begründete die Ablehnung seines Antrages unter anderem damit, es könne dahingestellt bleiben, ob die Angaben zur Inhaftierung glaubhaft seien.

Außerhalb des Schutzes durch das Gesetz

In der Bundesrepublik weder eine generelle Anerkennung als Flüchtlinge noch einen Abschiebestopp. Immer wieder werden, trotz des Krieges in Tschetschenien, Menschen dorthin abgeschoben. Die Menschenrechtsorganisation 'amnesty international' kam jüngst zu folgendem Schluss: "Durch die Verbindung einer anti-tschetschenischen Feindseligkeit in der russischen Gesellschaft mit offiziellen Erklärungen russischer Politiker und Handlungsweisen der Sicherheitskräfte haben tschetschenische Volkszugehörige den Status einer ethnischen Gruppe erhalten, die außerhalb des Schutzes durch das Gesetz steht und Opfer von Verfolgung, Erpressung und staatlicher Willkür wird." Durch eine polizeiliche Praxis, die oftmals Menschen allein aufgrund ihres Erscheinungsbildes gezielt ins Visier nehme, seien Tschetschen staatlicher Willkür in besonderem Maße ausgesetzt, schreibt amnesty international weiter. Im Polizeigewahrsam drohe Tschetschen Folter und Mißhandlungen. Dies gilt nicht nur für das Kriegsgebiet Tschetschenien, sondern für die gesamte russische Föderation (WebWecker berichtete).

Die unmenschliche Situation ist der Bundesregierung bekannt, doch die wirtschaftlich bestimmte Freundschaft zur russischen Regierung hat offenbar mehr Bedeutung als Menschenrechte. In der gegenwärtigen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichts in Minden erhalten nur die TschetschenInnen Asyl, die eine bereits erlittene Verfolgung oder ein konkret auf ihre Person bezogenes Verfolgungsinteresse des russischen Staates glaubhaft machen können. Viele scheitern an diesem Maßstab. Sie sind geflohen, bevor sie mitgenommen und misshandelt wurden. Sie können nicht erklären, warum russische Sicherheitskräfte genau sie mitnehmen sollten. Denn viele Festnahmen sind Willkür. Sie erfinden daher Geschichten in der verzweifelten Hoffnung, dem Maßstab unserer Rechtssprechung zu genügen. In einigen Familien wurde aufgrund Kriterien nur der Vater als politisch Verfolgter anerkannt, während seine Frau und die Kinder eine Ablehnung mit Abschiebungsandrohung erhielten.

So ist die Stimmung unter den 200 ostwestfälischen Flüchtlingen angespannt bis verzweifelt. Bei der Kundgebung am Samstag präsentierten sie einen offenen Brief an die Bundesregierung, an die Mitglieder des Bundestags und an das Verwaltungsgericht Minden. Darin schreiben sie, dass sie nach Deutschland gekommen seien, weil es für sie keinen anderen Ausweg gab. Und sie verweisen auf Schweden und Finnland, wo es einen Abschiebestopp nach Tschetschenien gebe. In Deutschland sei dies anders. So würden deutsche Behörden Dokumente und Bescheinigungen verlangen, die die Verfolgung im Heimatland belegen. Doch weder in Russland noch in Tschetschenien seien solche Dokumente zu erhalten, da sie von Seiten der russischen Beamten eine Anerkennung der verübten Verbrechen bedeuten würde. Dies gelte auch für Pässe, die von russischen Beamten herausgegeben werden: "Wenn ein Tschetschene aufgrund einer Bombardierung oder irgendeiner anderen kriegerischen Ursache seinen Pass verloren hat, dann wird der Erhalt eines neuen für ihn mit einem Risiko für sein Leben verbunden sein", schreiben die Flüchtlinge.


Freilassungen nur gegen Bestechung

Weiter berichten die Flüchtlinge davon, dass es für sie auch keine Möglichkeit sei, statt nach Tschenenien nach Russland zu gehen. Russland wird von deutschen Gerichten oft als Fluchtalternative genannt, Abschiebungen finden dorthin statt. "Wir befinden uns in Russland ausserhalb des Rechtsstaats", schreiben die TscheschenInnen aus Ostwestfalen. Sie würden in ganz Russland als Feinde gelten, niemand würde sie dort vor Übergriffen schützen. Dass in Russland vereinzelt Tschetschenen verhaftet und anschließend wieder frei gelassen worden seien, sei kein Beleg für einen Rechtsstaat. Die Betroffenen seien schlicht freigekauft worden.

Bei den Festnahmen von Tschetschenen handelt es sich oft nicht um offizielle Festnahmen. Für die Betroffenen gibt es kein rechtsstaatliches Verfahren, keine offizielle Anklage. Tschetschenen sind für viele quer durch die russische Gesellschaft generell Terroristen und Verbrecher. Unmittelbar nach dem Bombenattentat in der Moskauer Metro im Februar – niemand wusste, wer die Attentäter sind – bezeichnete der russische Präsident Putin tschetschenische Terroristen als Urheber und erklärte: "Russland verhandelt nicht mit Terroristen. Es vernichtet sie".

Schon allein auf Grund der Tatsache, dass die Flüchtlinge im Ausland waren, könnten sie nach Artikel 322 des russischen Strafgesetzbuches bis zu fünf Jahren Haft verurteilt werden. "Unsere Heimat liegt in Ruinen und wenn es einen zweiten Ort gäbe, wohin wir fliehen könnten, würden wir dorthin gehen", schreiben die Flüchtlinge abschließend. Sie fordern die deutsche Bevölkerung auf, mit dazubeitragen, dass die Kriegshandlungen in Tschetschenien gestoppt werden. Sie wollen "ohne die tägliche Drohung einer Abschiebung nach Russland" so lange in Deutschland bleiben, bis sich die Situation in ihrer Heimat stabilisiert hat.

Mit dieser Minimalforderung stehen die Flüchtlinge nicht alleine, sie werden unter anderen von amnesty international und dem Bielefelder Flüchtlingsrat unterstützt.

Den offenen Brief kann noch unterschrieben werden. Kontakt: Bielefelder Flüchtlingsrat, Telefon: 0521-60574.


webwecker@aulbi.de

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