Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische ,
28.04.2004 :
Demagogisches in Noten / "Was Anne Frank nicht hören durfte" – Vortrag über Musik in der NS-Zeit
Von Rolf Birkholz
Gütersloh. In München hatten die Nationalsozialisten 1937 "Entartete Kunst" ausgestellt. Was sie musikalisch für "entartet" hielten, zeigten sie 1938 in Düsseldorf. Diese Präsentation und deren als Buch veröffentlichte Aufarbeitung 50 Jahre danach waren Ausgangspunkt des VHS-Vortrags "Was Anne Frank nicht hören durfte" über "Entartete Musik – Musik in der NS-Zeit".
Das auf dem Buchumschlag nachgedruckte Plakat zu jener Düsseldorfer Ausstellung sagt schon fast alles über die willkürliche Unterscheidung zwischen politisch korrekter "arischer" und abgelehnter Musik: Aus dem roten Profil Anton Bruckners, Hitlers Lieblingskomponist, löst sich ein schwarzer Saxophonist, fällt quasi aus dem Rahmen des Ehrwürdigen, statt einer Blume im Knopfloch einen Judenstern am Revers.
Die Figur war, wie Referent Thomas Sander erläuterte, der Oper "Jonny spielt auf" von Ernst Krenek entnommen. Der war zwar kein Jude, aber seine Stilmischung aus Jazzfarben, Naturklängen, Alltagsgeräuschen hörte sich nicht "nordisch harmonisch" an, entbehrte einer gewissen "pathetischen Note".
Komponisten jüdischer Herkunft wiederum, die, wie Erich Wolfgang Korngold, ganz ernste oder, wie Walter Braunfels, lyrische, naturmystische Musik schrieben und Sander zufolge somit eigentlich hätten gefallen müssen, wurden allein ihrer Abstammung wegen zurückgewiesen. Es könne "keine Verbindung zwischen deutschem und jüdischem Geist" geben, behauptete das "Lexikon der Juden in der Musik".
Allein das Gefühl ansprechend, weihevoll, kritiklos pathetisch sollte Musik die Hörer im Handstreich erobern wie die politischen Reden jener Zeit. Da kamen Bruckner, Wagner, auch Beethoven in Frage, nicht aber die "analytische Musik" von Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton von Webern. In einem Gegenentwurf zur reinen Emotionalität hatte Hanns Eisler in der "Erziehung zum Hören" 1935 betont, dass kritisches Verhalten Genuss nicht ausschließe.
Viele nicht genehme Musiker wie Paul Hindemith, Friedrich Hollaender, Franz Wachsmann, Richard Tauber oder die Comedian Harmonists hatten mehr oder weniger große Probleme im Dritten Reich, mussten emigrieren. Oder passten sich an, wie der mit einer Jüdin verheiratete Franz Lehár, der sich nach einer seiner Melodien richtete: "Immer nur lächeln".
Wie der Referent, Musikschulleiter und Komponist aus Witten, berichtete, machten die Macher der Ausstellung "Entartete Musik" diese zusätzlich verächtlich, indem sie mehrere Klangbeispiele zugleich ertönen ließ, was unvermeidlich zu Dissonanzen führte – genauso aber eben auch zur Selbstdisqualifizierung.
lok-red.guetersloh@neue-westfaelische.de
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