Lippische Landes-Zeitung ,
26.04.2004 :
Entschädigen oder versöhnen? / Für eine "offene Erinnerungskultur" zwischen Namibia und Deutschland
Detmold. Nahezu vergessen ist Deutschlands Geschichte als Kolonialmacht - nicht jedoch in den früheren Kolonien: "In Namibia reichen die Schatten des damaligen Krieges noch bis in die Gegenwart", berichtete Pfarrer Hanns Lessing aus Dortmund in einem Vortrag im Gemeindehaus am Markt in Detmold.
Erst der 100. Jahrestag des Herero-Aufstandes in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) am 12. Januar hat hierzulande die Erinnerung an dieses Kapitel der Geschichte geweckt. Der Aufstand wurde von kaiserlichen Truppen in einem vierjährigen Krieg ab 1904 brutal niedergeschlagen. 75 000 Tote forderte dieser Krieg auf afrikanischer Seite; 1750 deutsche Opfer gab es. Die Versöhnungsarbeit zwischen den namibischen Volksgruppen auf der einen und der früheren Kolonialmacht auf der anderen Seite sei noch nicht abgeschlossen, sagte der Namibia-Experte Hanns Lessing. Er hat sieben Jahre als Pastor für die Vereinte Evangelische Mission in dem afrikanischen Land gelebt.
In den USA lebende Nachfahren der Herero wollen von der deutschen Regierung eine Entschädigung für die seinerzeit erlittenen Landenteignungen, berichtete Lessing. Beim Obersten Gericht in Washington haben sie im Jahr 2001 auf Zahlung von zwei Milliarden US-Dollar Wiedergutmachung geklagt. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hatte vorher diese Klage abgewiesen. Die deutsche Regierung lehnt eine Entschädigung ebenfalls ab, und auch die namibische Regierung betrachtet den juristischen Streit mit Skepsis. Sie will das Verhältnis zu Deutschland nicht belasten und verweist auf ihren Beschluss, die Eigentumsverhältnisse nicht zu ändern, die während der insgesamt mehr als einhundertjährigen Kolonialzeit entstanden sind.
Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) und die Lutherische Kirche in Namibia hätten in der Frage der Entschädigung keine eindeutige Position bezogen, sagte Pfarrer Lessing. Das Missionswerk wie auch die namibische Kirche setzten auf eine "offene Erinnerungskultur". Den Jahrestag des Herero-Aufstandes nahmen VEM und Lutherische Kirche als Ansatz, um gerechtere und ehrlichere - eben versöhnte - Beziehungen zwischen Namibia und Deutschland schaffen. Wenn man frei von Bitterkeit und ohne Schuldzuweisungen über den deutschen Kolonialismus in Namibia sprechen könne, so referierte Lessing die gemäßigte deutsch-namibische Position, dann sei aus Sicht von VEM und Lutherischer Kirche in Namibia schon viel erreicht.
Für deutsche Entwicklungshilfeprojekte gebe es in dem südwestafrikanischen Staat ein breites Betätigungsfeld. Namibia zähle sicher nicht zum Armenhaus Afrikas, aber innerhalb der Bevölkerung existierten gewaltige Einkommensunterschiede.
Der Vortrag von Hanns Lessing vertiefte eine von der evangelisch-reformierten Gemeinde Detmold-Ost gezeigte Ausstellung. Sie trägt den Titel "Erinnert Namibia! - Mission, Kolonialismus und Freiheitskampf", stellt auf 40 Bild- und Texttafeln die Geschichte Namibias von 1842 bis heute dar und war bis gestern im Gemeindehaus am Markt zu sehen. Am Mittwoch, 28. April, wird um 19.30 Uhr im Gemeindehaus der Film "Kolonialkrieg und Völkermord in Namibia" gezeigt.
detmold@lz-online.de
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