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Frankfurter Rundschau , 19.08.2004 :

Asylbewerber nennen Lager "unmenschlich" / Tschetschenische Flüchtlinge in Bramsche protestieren / Initiativen starten Demo-Tour

Von Joachim F. Tornau

Die Flüchtlinge in Deutschlands größtem Abschiebelager in Bramsche bei Osnabrück erheben schwere Vorwürfe: Ihre Unterbringung sei unmenschlich. Am Freitag startet in Bramsche eine "Anti-Lager-Tour" antirassistischer Gruppen.

(Kassel - 18. August). Bereits zwei Mal haben Flüchtlinge das Tor der Landesaufnahmestelle des Landes Niedersachsen in Bramsche besetzt, um auf die Bedingungen ihres Lebens hinter dem Stacheldraht aufmerksam zu machen: Die medizinische Versorgung sei miserabel, es gebe keine Privatsphäre, da sich bis zu sechs Menschen ein Zimmer teilen müssten, Arbeitserlaubnisse würden verweigert. Täglich drohe zudem die Abschiebung, auch in Krisengebiete.

Das Vorgehen der Polizei dabei sei brutal. "Wir können keinen Unterschied darin sehen, wie man mit uns in Tschetschenien umgegangen war und wie man hier mit uns umgeht", heißt es in einem Appell tschetschenischer Flüchtlinge. "Der einzige Unterschied ist, dass russische Truppen Masken tragen und den Frauen keine Handschellen anlegen."

Menschenunwürdige Zustände in fast allen europäischen Flüchtlingslagern und Verstöße gegen die Mindeststandards der Europäischen Union hatten kürzlich auch mehrere Menschenrechtsorganisationen angeprangert. Im Fall des Lagers in Bramsche werden die Vorwürfe von einer gerade fertig gestellten Studie der Universität Osnabrück zu den gesundheitlichen Folgen des Lagerlebens bestätigt. "Je weniger Möglichkeiten Asylsuchenden gelassen werden, ihr eigenes Leben zu gestalten, umso größer ist die Gefahr nachteiliger Auswirkungen auf die Gesundheit", so das Fazit der Untersuchung. Zentralisierte Unterbringung, ständige Kontrolle und die permanente Angst vor der Ausweisung sorgten für erhebliche psycho-soziale Belastungen.

Bramsche ist mit 550 Plätzen das größte Abschiebelager in Deutschland und eines der größten europaweit. Hier werden vor allem Menschen untergebracht, deren Asylantrag voraussichtlich abgelehnt werden wird. Erklärtes Ziel ist, die Flüchtlinge noch vor der Entscheidung über ihren Antrag zur "freiwilligen Ausreise" zu bewegen. Noch gibt es wenige solcher "Ausreisezentren", doch mit dem Zuwanderungsgesetz sollen sie bundesweit eingeführt werden.

Für die Initiatoren der "Anti-Lager-Tour", die am Freitag in Bramsche beginnt, ist diese immer stärker zunehmende Konzentration von Flüchtlingen in Sammellagern ein Beleg für die "politisch gewollte Ausgrenzung von Flüchtlingen" - in Deutschland wie in Europa.

"Die Lagerunterbringung mit all ihren Schikanen wird als Druckmittel eingesetzt, um Flüchtlinge außer Landes zu treiben", sagt Sprecherin Doris Fenzer. Lager seien "Zonen der Entrechtung und der Willkür", das habe sich auch an den im vergangenen Jahr bekannt gewordenen mutmaßlichen Vergewaltigungen durch Wärter im Abschiebegefängnis Bremen gezeigt. "Nicht der Hintergrund der Flucht - also die ungerechte Ordnung der Welt - wird bekämpft, sondern die Flüchtlinge", sagt Fenzer.

Im Rahmen der Protesttour, zu der mehrere hundert Teilnehmer aus antirassistischen Gruppen und Flüchtlingsinitiativen erwartet werden, sind bis zum 5. September Demonstrationen und Aktionen an Lagern und Abschiebegefängnissen in Neuss, Hannover, Halberstadt, Parchim, Berlin und Eisenhüttenstadt geplant. Das Motto lautet: "Für Bewegungsfreiheit - gegen Abschiebung und Ausgrenzung."


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