Neue Westfälische ,
22.04.2004 :
Übermüdet und glücklich / 350 britische Soldaten der 20. Brigade kehren zurück ins Sennelager
Von Hubertus Gärtner
Paderborn. Wer eine lebensbedrohliche Situation heil überstanden hat, neigt manchmal zur Fröhlichkeit. Das ist psychologisch verständlich. Deshalb waren auch viele britische Soldaten, die in den frühen Morgenstunden des vergangenen Mittwoch übermüdet in Paderborn ankamen, einfach nur "very, very happy". Sehr, sehr glücklich also.
Sechs Monate lang haben etwa 3.500 Einsatzkräfte der in Sennelager bei Paderborn stationierten 20. Brigade der britischen Armee im Süden des Iraks versucht, die Lage unter Kontrolle zu halten. Nun werden sie sukzessive gegen frische Kräfte von der britischen Insel ausgetauscht. Die ersten 350 Soldaten der 20. Brigade wurden in der Nacht zum Mittwoch über Kuwait an ihren Heimatstandort zurückgeflogen. Mit fast fünf Stunden Verspätung landeten sie in Hannover. In Bussen ging es schließlich weiter nach Paderborn, wo etwa 30 Ehefrauen und ein Dutzend Kinder in der Alan Brooke Kaserne an der Elsener Straße ausgeharrt hatten. Um 3.30 Uhr konnten sich die Familien endlich wieder glücklich in die Arme schließen.
"Der Irak ist ein ziemlich staubiges Land"
"Jetzt will ich nur noch ein Bier und dann schlafen", sagte ein Unteroffizier. "Der Irak ist ein ziemlich staubiges Land", ergänzte sein Kamerad. Dann nahmen die beiden ihr Gepäck und zogen davon. Details zum Einsatz wollten die Soldaten nicht verraten. Da hatte es wohl eine Anweisung von oben gegeben. "Politische Fragen" würden nur vom Verteidigungsministerium beantwortet, erläuterte der Pressesprecher Mike Whitehurst. Gefragt, was die Soldaten in den letzten Monaten im Irak getan hätten, antwortete Whitehurst, dass "Gebiete abgesichert" wurden, damit der Aufbau "in Ruhe" stattfinden könne.
Als Whitehurst dies sagte, war es in der Millionenstadt Basra, dem Zentrum der britisch kontrollierten Besatzungszone, mit der Ruhe aber gerade auf eine fürchterliche Weise vorbei gewesen. Unbekannte hatten drei Polizeistationen angegriffen.
Mehr als 60 Menschen, darunter zahlreiche Schulkinder, wurden durch Autobomben getötet. Hunderte Personen wurden verletzt. Nach Agenturberichten konnten die britischen Truppen, die ebenfalls mehrere Verletzte zu beklagen hatten, die brennenden Polizeiwachen nicht erreichen, weil sie von Irakern mit Steinen angegriffen wurden.
Die Bombenexplosionen sind ein sehr schlimmes Zeichen. Auch die Briten werden der wachsenden Aggression im Irak nun offenbar nicht mehr Herr. Mit solchen Attentaten hatten ihre Truppen kaum gerechnet. Die schiitische Bevölkerung im Süden des Iraks sei "nicht so radikal eingestellt", hatte Helga Heine, Sprecherin der britischen Streitkräfte in Deutschland, noch vor zwei Tagen im Interview mit der Neuen Westfälischen gesagt. Das war vielleicht ein Irrtum.
Die Briten in der Gegend von Basra vertrauten bislang auf ihre Erfahrung, die sie zum Beispiel im jahrzehntelangen Nordirland-Konflikt gesammelt haben. Auch ihre in Sennelager bei Paderborn stationierten Truppen wurden vor dem Irak-Einsatz noch einmal gezielt geschult. Sie mussten sogar arabische Vokabeln lernen. Ihnen wurde Unterricht über die Geschichte und Kultur des Iraks erteilt.
Um ein Zeichen des guten Willens zu geben, nahmen die Briten schon bald nach der Besetzung von Basra ihre Helme ab und luden einheimische Vertreter verschiedener Bewegungen zu Gesprächen.
Die Bomben haben die Einsatzkräfte nun aber ziemlich sprachlos gemacht. Und in ihrer Heimat erinnert sich nun mancher, dass sich im Jahr 1920, drei Jahre nach der Eroberung des Iraks durch die Briten, die Schiiten schon einmal gegen die Besatzungsmacht erhoben hatten. Damals wurde der Aufstand in wenigen Monaten niedergeschlagen. Es scheint zweifelhaft, ob sich so ein schneller Erfolg heute wiederholen ließe.
Drei Todesfälle seien in der 20. Brigade während des Irak-Einsatzes zu beklagen gewesen, sagte Mike Whitehurst am Mittwoch in Paderborn. Die Rückkehrer, allesamt Berufssoldaten, würden nun in Sennelager zunächst "leichten Dienst" schieben und dann in den wohl verdienten Urlaub gehen. Wenn einer der Soldaten psychische Probleme vom Irak-Einsatz davon getragen habe, dann werde er "nicht allein gelassen", sagte Whitehurst. Für solche Probleme beschäftige die britische Armee zahlreiche professionelle Mitarbeiter, Psychologen und Seelsorger. Es wächst die Furcht, dass auch diese Experten langfristig gebraucht werden.
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