|
Lippische Landes-Zeitung ,
22.04.2004 :
Der Hölle entkommen / John Obermeyer berichtete erstmalig in Bad Salzuflen von seinem Schicksal
Bad Salzuflen (gr). Er kam nicht als Ankläger, wollte vielmehr Spuren finden und versöhnen: Seine Familie wurde in Deutschland ermordet, John (Hans) Obermeyer konnte im letzten Moment nach England flüchten. Jetzt kehrte der Sohn von Siegfried und Amalia ("Mally") Obermeyer aus den USA in seine Geburtsstadt zurück, um von seinem Schicksal zu berichten.
Über 120 Personen, darunter ehemalige Schulkameraden und Mitglieder der israelitischen Gemeinde Herford, waren in das Martin-Luther-Haus an der Erlöserkirche gekommen, um John Obermeyer und seine Frau Joan zu erleben. Gastgeber war die Kirchengemeinde in Zusammenarbeit mit dem "Bad Salzufler Ratschlag gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus".
Die jüdische Familie Obermeyer, so erklärte Stadtarchivar Franz Meyer vorab, war eine alteingesessene Familie. 1858 eröffnete Urgroßvater Salomon ein Haushalts- und Eisenwarengeschäft in der Langen Straße (Obermeyer-Haus), in dem sich heute das Städtische Bädermuseum befindet. Seine Söhne Siegfried und Robert erweiterten das Geschäft und richteten im Nachbarhaus (heute Nordsee) eine Ausstellungsfläche ein.
In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden die Synagoge, die 1855 noch mit Unterstützung von Salzufler Bürgern an der Mauerstraße gebaut worden war, und das Geschäft der Obermeyers zerstört, Siegfried Obermeyer als Vorstand der jüdischen Gemeinde interniert.
"Plötzlich begannen die Schikanen"
John Obermeyer
Nach seiner Verhaftung versuchte Siegfried Obermeyer, sein Geschäft zu verkaufen und eine Auswanderungs-Erlaubnis zu erlangen. Da das Gebäude schon damals unter Denkmalschutz stand, hatte die Stadt das Vorkaufsrecht. "Die Stadt versuchte die Verhandlungen zu verzögern, um den Preis zu drücken - mit fatalen Folgen für die Familie", so Archivar Meyer. Die Auswanderungserlaubnis kam zu spät - drei Tage vor Kriegsbeginn. Für den elfjährigen Sohn John ergatterten die Obermeyers Anfang 1939 einen der letzten Plätze in einem "Kindertransport" nach England, der älteste Sohn Ernst wurde in die Niederlande geschickt. 1940 gelang dem Ehepaar die Flucht nach Luxemburg. Doch die Nationalsozialisten holten sie ein: Siegfried und Amalia Obermeyer kamen im Ghetto von Lodz ums Leben, Sohn Ernst starb in Ausschwitz.
John Obermeyer wurde 1928 geboren. Zunächst verlief die Kindheit friedlich, nahm Obermeyer den Faden von Archivar Meyer auf, "Ich kann mich an viele Freunde und Freundinnen erinnern", erklärte Obermeyer und nahm lächelnd die spontanen Zurufe "hier sind sie" aus dem Zuschauerraum entgegen. Doch plötzlich wurde alles anders: "Ich wurde angegriffen, verprügelt und wusste nicht warum." Ab 1938 verging kein Tag ohne Schikanen. "ich wurde vom Fahrrad geschmissen und als dreckiger Jude beschimpft." Die Eltern reagierten, schickten John zusammen mit seinem Schulfreund Hans Kornberg auf eine Schule nach England (England hatte sich bereit erklärt, 10 000 jüdische Kinder aufzunehmen). Der Abschied war schwer. "80 Prozent der verschickten Kinder haben ihre Eltern nicht wiedergesehen, doch das wussten wir damals nicht."
Nach 1945 war alles Geld verbraucht, und der Schulleiter suchte für John einen Job als Anlernling im Bereich Maschinentechnik. Onkel Julius aus New York spürte ihn auf, und John erhielt im Januar 1947 ein Einreisevisum für die USA. Im Oktober 1951 wurde er zum Militärdienst eingezogen. John hatte Glück: Nato statt Korea. Mit gemischten Gefühlen betrat er erstmalig wieder sein Geburtsland, machte auch einen Abstecher nach Bad Salzuflen. Zurück in den USA konnte er sich beruflich als Verkaufsleiter einer Maschinen-Niederlassung etablieren und gründete eine Familie. Erst mit der Rente begann er, sich intensiver mit seiner Vergangenheit zu beschäftigen. "Ich schätze jetzt besonders, was ich alles von meinen Eltern mitbekommen habe, und dass sie die Weitsicht hatten, mir die Hölle zu ersparen, die sie erleben mussten."
Im Anschluss nutzten Gast und Zuhörer die Gelegenheit, die Auswüchse des Nationalsozialismus in Bad Salzuflen zu erörtern. Fest steht, dass es vor Ort keinen organisierten Widerstand gegeben hat, wohl aber Einzelne, wie den ehemaligen Zeichenlehrer Wilhelm Haun, die Zivilcourage bewiesen. Auch ein ehemaliger Verfolger hatte den Mut, sich zu Wort zu melden: "Ich rannte hinter Dir her, wie die anderen, und ich wusste nicht einmal warum".
Salzuflen@lz-online.de
|