Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
20.04.2004 :
"Empfänger vermißt" / Heinrich Hoffmeiers Schicksal - Weg eines Soldaten in den Tod
Espelkamp/Lübbecke (gü). Fiestel, Anfang 1940. In dem kleinen Dorf nahe Lübbecke trifft im Winter jenes Jahres ein lang befürchtetes Schreiben ein. Der junge Mauer Heinrich Hoffmeier erhält den Einberufungsbescheid, der ihn bald nach Frankreich führt. Zwei Jahre später kämpft er in Hitlers Armee an der Ostfront. Regelmäßig schreibt der Soldat an Ehefrau und Halbschwester, schildert fast lakonisch Grauen und die Gräuel des Krieges, dankt für Lebensmittelpakete aus der Heimat, schildert die Stimmungen unter seiner Kameraden, berichtet von eigenen Hoffnungen und den Sorgen um die Lieben daheim. Der letzte Brief aus Fiestel kommt ungeöffnet zurück – "Empfänger vermißt".
Rund sechs Jahrzehnte später, nach dem Tod der Mutter, finden die Söhne in ihrem Nachlass die Briefe des Vaters an seine Halbschwester. Und vor ihren Augen entsteht das Bild eines Mannes, den sie als Vater nie kennengelernt haben, nimmt Konturen an und führt die Kinder auf die Spur eines Soldaten, der wie Millionen andere einem Wahn geopfert wurde, in seinen Briefen hin- und hergerissen scheint zwischen dem Wunsch an das baldige Kriegsende und dem Glaube an den "Endsieg".
Der Berliner Journalist Volker Koop hatte die schriftlichen Zeugnisse eines "unbekannten" Soldaten jetzt in einem Buch – "Ich habe keine Hoffnung mehr" - veröffentlicht und zeigt eindrucksvoll das "typische" Schicksal eines jungen, eher unpolitischen Mannes jener Zeit, der in einen Krieg hineingeworfen wurde, auf dem Schlachtfeld bleibt und eine Frau zurückläßt, die den Tod ihres Partners und Familienvaters nie wird richtig verwinden können.
30 Jahre alt ist der sportliche Hoffmeier, als er von Fiestel aufbrechen muss. Nach der Heirat hatte sich das junge Paar ein Grundstück in Gestringen gekauft. Doch der Marschbefehl an die Front macht alle Hauspläne zunichte. Ein Bild aus jenem Jahr zeigt Hoffmeier in Uniform - mit leeren Augen, ängstlich-hoffnungslos in die Kamera blickend. Noch klingen seine Briefe aus Frankreich an die Lieben daheim wenig besorgt. Erst als die Fahrt im Viehwagen nach Rußland bevorsteht, kommt ein anderer Ton in seine Mitteilungen.
"Das darf ich euch eigentlich gar nicht schreiben."
Schon Ende März 1942 schreibt er nach Hause, wie sehr die Kämpfe allen zusetzen, die Kompanie dezimiert wurde und er selbst nicht mehr glaubt, alleszu überstehen. "Es geht fürchterlich zu", liest die Halbschwester. Ihr teilt er vieles mit, was er sener Frau Sophie verschweigt, weil er ihr seine Ängste ersparen will. Dabei muss sich Hoffmeier, zum Unteroffizier befördert, mit dem Eisernen Kreuz II und der Nahkampfspange dekoriert, in seinen Mitteilungen in die Heimat selbst vor allzu offenen Worten hüten. Nur selten bricht seine Verzweiflung, die Gewissheit der nahenden Katastrophe sich in seinen Sätzen Bahn. "Wir haben nur noch den einen Wunsch, dass der Krieg lieber heute als morgen vorbei sei, Dass wir den Krieg noch gewinnen, daran glauben wir alle nicht". Und: "Das darf ich euch eigentlich gar nicht alles schreiben".
Herausgeber Volker Koop stellt denn auch den Briefen Hoffmeiers die offiziellen Verlautbarungen der Wehrführung gegenüber, kontrastiert die immer düster werdenden Schilderungen Hoffmeiers von der Front mit angeblichen Erfolgsmeldungen der Heeresleitung.
Als Ende 1943 sein zweiter Sohn geboren wird, bleiben Henrich Hoffmeier nur die besten Wünsche auf dem Papier. Der erhoffte Heimaturlaub kommt nicht zustande, stattdessen schriftlich immer häufiger tiefe Zweifel ("Ihr müßte Sophie nichts sagen"): "Es wird sich wohl bald entscheiden, ich habe keine Hoffnung mehr".
Der Brief mit der Feldpostnummer 29531 E erreicht dann seinen Adressaten nicht mehr, kommt zurück: "Empfänger vermißt". Irgendwann Anfang Dezember 1943 muss Heinrich Hoffmeier, nicht einmal 34 Jahre alt, gefallen sein. Pfarrer und Großmutter überbringen seiner Frau die Nachricht. Und in einem Gutachten teilt der DRK-Suchtdienst der Witwe 1975 das Ergebnis seiner Nachforschungen mit: "Alle Feststellungen zwingen zu der Schlussfolgerung, dass er bei Kämpfen gefallen ist". Und: "Wir hoffen, Sie durch die Bekanntgabe des Nachforschungsergebnisses von jahrlang ertragener Ungewißheit zu befreien".
Jahrzehntlang ist sein Schicksal in der Familie dennoch tabu, schweigt die Mutter. Erst wenige Monate vor ihrem Tod findet sich das Dokument, wenig später kommen die Briefe des Vaters an die Halbschwester ans Licht. Und jetzt erst können die Kinder ihren "unbekannten" Vater, gefallen in Rußland 1943, "entdecken".
Heinrich Hoffmeier, "Ich habe keine Hoffnung mehr", herausgegeben von Volker Koop, Edition Q, 14,90 Euro.
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