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Westdeutscher Rundfunk , 27.01.2002 :

Präzision statt Pauschalverurteilung / Die Wehrmachtsausstellung mit neuem Konzept ("Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944")

Von Nila Reinhardt

Sachlich nüchtern präsentiert sich die neue Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944", die am Sonntag (27.01.2002) im Bielefelder Historischen Museum eröffnet wurde. Mit neuem Konzept wird die These dargestellt und untermauert, dass die Wehrmacht systematisch an dem beispiellosen Vernichtungskrieg in Ost- und Südeuropa beteiligt war. Diese Aussage lag bereits der ersten Wehrmachtsausstellung zugrunde, die 1999 aufgrund einer Welle der Kritik zurückgezogen worden war. Die Ausstellung wurde daraufhin von einer Gruppe junger Historiker mit wissenschaftlichem Beirat völlig überarbeitet. Das Ergebnis hat mit der ersten Wehrmachtsausstellung kaum noch Ähnlichkeit: anstelle einer Fülle plakativer Fotos, deren erschreckende Wirkung direkt auf die Emotionen abzielte, dominieren nun präzise Texte.

Befehle gegen das Völkerrecht

In der Mitte des großen Ausstellungraumes stehen zwei große Stellwände. Die erste informiert den Besucher über das damals geltende Kriegs- und Völkerrecht. Die andere dokumentiert die verbrecherischen Militär-Befehle vom Mai/Juni 1941, die bereits vor dem Angriff auf die Sowjetunion die völkerrechtlichen Konventionen außer Kraft setzten. Denn der Krieg im Osten hatte für Hitler einen ganz besonderen Charakter: Die Sowjetunion sollte nicht nur erobert, sondern der "Jüdische Bolschewismus" sollte beseitigt werden. Daher war eine ganz andere Form der Kriegsführung als im Westen erforderlich, so Hitlers Direktive.

Dimensionen der Vernichtung

An den Wänden werden in sechs Themenbereichen die Dimensionen dieses Vernichtungskrieges dargestellt: Deportationen und Zwangsarbeit, Völkermord an den sowjetischen Juden, Auswüchse des Partisanenkrieges, Ernährungskrieg (die wirtschaftliche Ausplünderung der besetzten Gebiete aber auch das "Aushungern" Leningrads), Massensterben sowjetischer Kriegsgefangener sowie Repressalien und Geiselerschießungen. Die Gesamtschau macht deutlich, dass die Wehrmacht in allen Kriegsbereichen entscheidenden Anteil an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung hatte.

Klare Aussagen

Behutsam wird der Besucher an die einzelnen Themenkomplexe herangeführt. In Glaskästen sitzend bekommt man per Kopfhörer eine Einführung. An den Stellwänden wird anhand exemplarischer Beispiele die Rolle der Wehrmacht dargestellt. Ergänzend können Tonbänder mit Aussagen von Tätern und Opfern nach Kriegsende gehört werden. Das Ganze präsentiert in einem sehr kühlen und sachlichen Design, das beinahe Laborcharakter hat. Die Ausstellungsmacher - so scheint es - wollten um jeden Preis eine emotional aufgeladene Darstellung vermeiden.

Unsicherheiten bei der Quellenlage

Die Schau reflektiert auch die Probleme der ersten Wehrmachtsausstellung: In einer Ecke wird die Problematik von "Fotos als Quelle" anhand der umstrittenen "Tarnopol"-Serie dargestellt. Die Täter der gezeigten Verbrecher sind nicht zweifelsfrei auszumachen: Sowohl der sowjetische Geheimdienst wie auch die Wehrmacht hatten nacheinander in dem Städtchen die Befehlsgewalt. In der neuen Ausstellung werden Unsicherheiten hinsichtlich der Quellenlage ausdrücklich betont.

Geschichten von Wehrmachtsangehörigen

Zuletzt betritt der Besucher den Bereich "Handlungsspielräume". Durch Vorhänge vom Rest der Ausstellung abgetrennt, gedämpftes Licht und großen Porträt-Fotos an den Wänden stellt sich plötzlich Intimität ein. Ein emotionaler Schock nach der klinischen Sachlichkeit. Hier werden die Geschichten von acht Wehrmachtsangehörigen erzählt. Sie enthalten die ganze Spannbreite zwischen eifrigem Vorausgehorsam bis zu Verweigerung und Desertion. Je länger man den Geschichten zuhört, desto schmerzlicher wird eines klar: Es gab Möglichkeiten für den Einzelnen, sich dem System von Befehl und Gehorsam zu entziehen.


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