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17.04.2004 :
Stoppt rassistische Polizeigewalt / Aufruf zur bundesweiten Demonstration am 15. Mai 2004 in Göttingen
Am 15. Mai wird es in Göttingen eine bundesweite Demonstration gegen Polizeigewalt und rassistische Sondergesetze geben. Gruppen, die den unten dokumentierten Aufruf unterstützen, senden bitte spätestens bis Donnerstag, den 22.04.2004 eine kurze Mail an The Voice Göttingen (unter dem Aufruf). Initiativen, die eventuell aus OWL gemeinsam zur Demonstration nach Göttingen fahren möchten, können sich mit dem Detmolder Internationalen Beratungszentrum in Verbindung setzen.
Stoppt rassistische Polizeigewalt!
Aufruf zur bundesweiten Demonstration am 15.05.2004 um 12 Uhr in Göttingen am Gänseliesel
Am 04.03.2004. kam es im Göttinger Bahnhof zu einem Übergriff von sechs Polizisten gegen einen 18-jährigen Flüchtling, der an diesem Tag auf dem Weg zu seinem Göttinger Anwalt war. Bei einer "verdachtsunabhängigen Kontrolle" durch den BGS wurde er derart verletzt, dass er mehrere Stunden in der Notaufnahme verbringen musste. Noch immer leidet er unter den Schmerzen. Statt Schmerzensgeld sieht er sich einer Anzeige wegen Verletzung der "Residenzpflicht" (er ist in Worbis untergebracht und "Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte" gegenüber. Rassistische Polizeigewalt ist in Deutschland keine Ausnahme!
Mehr als einmal wurde die BRD bereits vom Europarat und den Vereinten Nationen (UN) wegen erheblicher Polizeibrutalität an AusländerInnen kritisiert. Im Januar 2004 veröffentlichte amnesty international einen Bericht über rassistisch motivierte Polizeigewalt in Deutschland. Der Bericht verweist auf die hohe Zahl rassistischer Polizeiübergriffe, den Unwillen von Staatsanwaltschaften gegen PolizeibeamtInnen zu ermitteln und die routinemäßigen Gegenanzeigen von gewalttätigen PolizeibeamtInnen gegen ihre Opfer. Durch diese Gegenanzeigen wegen angeblichen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte wird das Opfer zum/zur Täter/in. Eine solche Verdrehung der Tatsachen funktioniert nur durch rassistische Denkstrukturen.
Bei rassistischen Kontrollen werden Menschen anhand von phänotypischen Merkmalen überprüft (Phänotyp = äussere Erscheinungsform, zum Beispiel Hautfarbe) und darin spiegelt und manifestiert sich die rassistische Haltung der Gesellschaft. Ein Mensch mit schwarzer Hautfarbe kann unmöglich Teil des deutschen Volkskörpers sein. Wenn der also von der Polizei kontrolliert, festgenommen oder misshandelt wird, hat das schon seine Richtigkeit.
Deutsche Obrigkeitshörigkeit, rassistische Vorstellungen und völkische Ideologie greifen hier ineinander über. Die Staatsmacht kann dann ruhig behaupten, sie sei angegriffen worden. Wem wird hier wohl geglaubt werden: dem/der unerwünschten Nichtdeutschen, der/die nach Meinung vieler sowieso in irgendwelchen kriminellen Strukturen steckt? Oder dem/der ordentlichen deutschen Hüter/in von Recht und Ordnung?
Die Tatsache, das die AkteurInnen der Staatsgewalt Opfer zu TäterInnen machen können, spiegelt die Unterdrückung hier lebender AusländerInnen wider. Der Schulterschluss zwischen PolizeibeamtInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen ist ein Ausdruck der rassistischen Organisation der Bundesrepublik Deutschland.
Das bedeutet für hier lebende AusländerInnen: sie können legal überfallen werden. Wenn sie sich dagegen wehren, wird ihnen oft per Gerichtsbeschluss noch einmal klar gemacht, dass Übergriffe auf Nichterwünschte mit dem deutschen Gesetz vereinbar sind: Die Polizei mit der Lizenz zum Mißhandeln.Deshalb verzichten Opfer von Polizeigewalt häufig auf Anzeigen, was auf eine sehr hohe Dunkelziffer schließen lässt. Rassistische Polizeigewalt ist keine Ausnahme, sondern Alltag für in Deutschland lebende Flüchtlinge und MigrantInnen. Die dokumentierten Übergriffe haben zu unterschiedlich schweren Verletzungen bis hin zu Todesfällen geführt. Am bekanntesten ist in der deutschen Öffentlichkeit der Fall von Aamir Ageeb, der bei seiner Abschiebung durch BGS-Beamte zu Tode kam. Der zur Zeit stattfindende Prozess gegen die tatbeteiligten BGS-Beamten wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist aber als große Ausnahme anzusehen. Bei den wenigen Fällen, in denen es zu Strafverfolgung der TäterInnen kam, ist dies überwiegend auf das große öffentliche Interesse zurückzuführen.
- Cornelius Yufanyi, Voice-Aktivist aus Göttingen wurde am 26. Januar 2003 nach einem Treffen von The Voice in Jena unter dem Vorwand einer Personalkontrolle von PolizistInnen angegriffen, verletzt und verhaftet. Ungefähr eine Viertelstunde lang ließen sie ihren rassistischen Ressentiments auf offener Straße und unter den Augen von Unbeteiligten freien Lauf. Bis heute leidet Cornelius Yufanyi noch unter den Folgen des Polizeiangriffes. Die Anzeige gegen die drei PolizistInnen wurde von der Staatsanwaltschaft abgewiesen. Stattdessen wurde gegen Cornelius Yufanyi Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Verletzung der Residenzpflicht erstattet. Das Verfahren dauert an.
- Gegen mehrere Polizeibeamten, die im Verdacht standen, den 31-jährigen Stefan Neisius am 11. Mai auf der Kölner Polizeiwache Eigelstein mit Schlägen misshandelt zu haben, wurde Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhoben. Die Polizei hatte den jungen Mann am Abend des 11. Mai nach einem Familienstreit in seiner Wohnung festgenommen. Als er auf der Wache ins Koma fiel, wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert, wo er am 24. Mai verstarb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der Vorfall mutmaßlicher Polizeibrutalität kam ans Tageslicht, nachdem zwei Polizeibeamte einen ihrer Vorgesetzten darüber informiert hatten, dass sie in der Nacht der Festnahme von Stefan Neisius Zeuge geworden waren, wie fünf oder sechs ihrer Kollegen um den am Boden liegenden und an den Händen gefesselten Häftling herumgestanden und ihm wiederholt Fußtritte gegen Kopf, Körper, Arme und Beine versetzt hätten. Anschließend, so die beiden Zeugen, hätten drei oder vier Polizisten Stefan Neisius an den Füßen gepackt und ihn durch den Flur in eine Zelle geschleift, wo er erneut mit Schlägen und Fußtritten traktiert worden sei, während er hilflos am Boden lag. Kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls wurden sechs Polizeibeamte vom Dienst suspendiert.
- Ende Juni schloss die Staatsanwaltschaft Hamburg ihre Ermittlungen im Fall des Todes von Achidi John ab. Der 19-jährige Asylbewerber aus Kamerun war am 12. Dezember 2001 im Universitätskrankenhaus Eppendorf gestorben, nachdem ihm vier Polizeibeamte und eine Ärztin gegen seinen Willen ein Brechmittel verabreicht hatten, um auf diese Weise Drogen sicherzustellen, die der junge Kameruner verschluckt haben sollte. Als Todesursache wurde Berichten zufolge "hypoxischer Hirntod" festgestellt, zurückzuführen auf eine vorbestehende schwere Herzerkrankung von Achidi John. Die Staatsanwaltschaft erhob weder gegen die vier Polizeibeamten noch gegen die Ärztin Anklage, da sie zu dem Schluss gelangte, ein strafrechtlich relevantes Verhalten der Beteiligten sei zu verneinen. Die Praxis der zwangsweisen Verabreichung von Brechmitteln zum alleinigen Zweck der Sicherstellung von Beweisen für Drogenbesitz war Mitte 2001 in Hamburg eingeführt worden und richtete sich in den allermeisten Fällen gegen SchwarzafrikanerInnen.
Rassistische Sondergesetze sind Gesetze, gegen die nur AusländerInnen verstoßen können. Sie dienen dazu, die Lüge von den kriminellen AusländerInnen durch Statistiken zu belegen , in der BRD nicht erwünschte Menschen zu kriminalisieren, und sie dadurch einfacher abschieben zu können.
All diese Vorfälle wären ohne die bestehenden rassistischen Sondergesetze in diesem Umfang nicht möglich. Durch die Gesetze werden rassistische Polizeikontrollen und die damit oftmals verbundenen Mißhandlungen, ob in Bahnhöfen, Innenstädten, im Grenzgebiet oder sonstwo erst legitimiert. Die rassistische Sonderbehandlung, die im Ausländergesetz und wohl bald auch im Zuwanderungsgesetz festgeschrieben ist, zwingt Flüchtlinge beispielsweise sich nur in einem ihnen zugewiesenen Landkreis zu bewegen (Residenzpflicht). Dadurch haben Polizei und BGS die Erlaubnis "nicht deutsch aussehende" Menschen verdachtsunabhängig überall zu kontrollieren, um zu überprüfen, ob sie sich an jenem Ort aufhalten dürfen.
Die rassistischen Sondergesetze beschränken sich allerdings nicht auf die Abschaffung der Bewegungsfreiheit, sie spiegeln sich in den unterschiedlichsten Alltagssituationen wider. So haben die Betroffenen nur Anspruch auf reduzierte Sozialhilfe (80%), welche oftmals in Gutscheinen oder in Form eines Chipkarten-Systems ausgezahlt wird. Damit dürfen die Flüchtlinge nur in bestimmten Geschäften einkaufen und sind auf ein limitiertes Sortiment beschränkt Der Gesetzgeber bestimmt, was ein Flüchtling kaufen darf und was nicht. Kulturelle Veranstaltungen sind beispielsweise nicht mit Gutscheinen zu bezahlen. Dadurch werden Flüchtlinge ganz gezielt aus vielen Teilen des Alltagslebens der
Restbevölkerung ausgeschlossen.
Trotz aller anderen Verlautbarungen ist vom Gesetzgeber die Integration von Flüchtlingen nicht erwünscht. Aber auch das Arbeitsverbot, die Zuweisung von (oftmals viel zu kleinem und schlechtem) Wohnraum, rigide Meldeauflagen und andere Schikanen sind durch Sondergesetze abgesichert. Dass diese Schikanemaßnahmen von obersten deutschen Gerichten abgesegnet werden, verdeutlicht vielen in Deutschland lebenden AusländerInnen: Sie sind hier unerwünscht und es gibt keine Chance auf eine Verbesserung ihrer Situation. Im Gegenteil: In Europa einmalige Gesetze wie die Residenzpflicht sollen noch verschärft werden und dienen als Vorbildcharakter für den Rest der "Festung Europa". Die staatliche Gewalt- und Ausgrenzungspolitik gegenüber vielen AusländerInnen dient ferner als Vorbild für Repressionsmaßnahmen gegen weitere unerwünschte Bevölkerungsgruppen: Die Säuberung des Stadtbildes von Obdachlosen, DrogenkonsumentInnen, PunkerInnen usw. sowie Gutscheinsysteme und Arbeitszwang für SozialhilfeempfängerInnen machen sehr deutlich wohin die Reise geht.
Wir fordern:
- Eine unabhängige Untersuchungskommission für rassistische Polizeiübergriffe
- Abschaffung aller rassistischen Sondergesetze
- Bei Übergriffen nicht wegsehen, sondern einmischen
the_voice_goettingen@gmx.de
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