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Lippische Landes-Zeitung , 17.04.2004 :

Offensichtliches Unrecht / "Das letzte Geleit", LZ vom 8. April

Erst durch Ihren erschütternden Bericht zu den letzten Stunden des früheren Lemgoer Bürgermeisters Wilhelm Gräfer habe ich Einzelheiten des schrecklichen Geschehens erfahren, weil ich zu jener Zeit in Kriegsgefangenschaft war. Ihr Bericht zeigt, wohin blinder Kadavergehorsam führen kann.

Sehr verwerflich ist für mich auch die Tatsache, dass nicht nur die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit in solchen Willkürurteilen und Willkürvollstreckungen keinen Verstoß gegen die übergesetzlichen Menschenrechte und gegen elementare Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gesehen haben. Den Betroffenen wurde meist auch kein rechtliches Gehör nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und kein Rechtsbeistand gewährt.

In einer Feierstunde für den Widerstandskämpfer und Juristen von Dohnanyi hat der Präsident des Bundesgerichtshofes, Günter Hirsch, im Februar 2002 das Versagen des Bundesgerichtshofes bei der Aburteilung von Richtern des Nationalsozialismus scharf kritisiert. Man müsse sich dafür schämen, dass die Richter, die Dohnanyi 1945 in einem rechtswidrigen Scheinverfahren zum Tode verurteilten und hinrichten ließen, 1956 vom Bundesgerichtshof freigesprochen wurden. Dieses Urteil habe verheerende Folgen gehabt und dazu geführt, dass keiner der Richter des Nationalsozialismus verurteilt worden sei.

Erst nach vielen Jahrzehnten - für die meisten Hinterbliebenen leider viel zu spät - hat das Bundessozialgericht durch sein Urteil vom 11. September 1991 (Az. - 9a RV 11/90 - Breithaupt 1992, Seite 241) unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtssprechung anerkannt, dass für die Todesstrafe der Militärjustiz angesichts der Gesamtumstände die Rechtswidrigkeit solcher Urteile zu vermuten sei. Es bestehe also eine "Unschuldsvermutung" des Verurteilten, sofern bei ihm kein Tatbestand für ein ziviles Verbrechen (zum Beispiel Mord) vorgelegen habe. In den Fällen der mit allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängenden Straf- und Zwangsmaßnahmen sei ein Versorgungsanspruch anzuerkennen, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen waren. Wegen der "Unschuldsvermutung" bestehe daher ein Versorgungsanspruch nach Bundesversorgungsgesetz, weil die Urteile der Militärjustiz zu jener Zeit allgemein
"offensichtliches Unrecht" gewesen seien.

Hermann Biere
Leeser Weg 1
Lemgo

17./18.04.2004
Detmold@lz-online.de

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