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Lippische Landes-Zeitung , 16.11.1992 :

Volkstrauertag: Antifa protestierte gegen Gedenkfeier an Dörenschlucht / Pohl: "Gemeinsam versuchen, nicht vom Weg abzukommen"

Kreis Lippe/Detmold (sb). "Wir müssen gemeinsam versuchen, nicht vom Weg abzukommen", appellierte Landrat Hans Pohl gestern in seiner Rede anläßlich des Volkstrauertages an die Teilnehmer der Gedenkfeier an der Dörenschlucht. Pohls Ansprache am Ehrenmal und die anschließende Kranzniederlegung wurden vielfach durch Zwischenrufe einiger Dutzend Demonstranten unterbrochen: "Keine Ehrung der SS" und "Gedenkt nicht der Täter, sondern der Opfer", forderten die zumeist jungen Leute immer wieder lautstark.

Pohl, der auf Einladung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge an der Dörenschlucht seine Rede hielt, bedauerte, dass die Feier in Gedenken an die unzähligen Opfer der beiden Weltkriege unter solchen Bedingungen stattfinden müsse: "Man sollte nicht durch Brüllerei versuchen, die Meinung anderer zu unterdrücken", meinte der Landrat mit Blick auf die Demonstranten.

Die Demokratie aufrechterhalten

Er selbst habe lange überlegt, ob er wieder als Redner an diesem Tag, der der Versöhnung, Mahnung und Buße diene, auftreten solle: "Ich habe mich dafür entschieden, da es auch heute noch zahlreiche Betroffene gibt", so Pohl.

"Mahnung" bedeutet nach Auffassung Pohls auch, sich mit den Ursachen der Gewalt auseinanderzusetzen. Diese entstehe durch Ideologien, die nur die eine schlichte Unterscheidung zwischen Freunden und Feinden machten.

In diesem Zusammenhang erinnerte der Landrat an die Anschläge rechtsextremer Gruppen in Rostock und Hoyerswerda, aber auch an die Zwischenfälle während der Berliner Demonstration, die auf das Konto der Linken gegangen seien. Schließlich forderte Pohl die Anwesenden auf, sich für die Aufrechterhaltung der Demokratie in Deutschland einzusetzen. Jeder einzelne müsse zur Versöhnung aufrufen und sich deutlich gegen Gewalt aussprechen: "Dann ist der Gedanke des Volkstrauertages trotz der Zwischenfälle auch im Herbst 1992 nicht vergeben", sagte der Landrat abschließend.

Die rund 50 bis 60 Demonstranten der "Antifaschistischen Aktion", die vor Beginn der Gedenkfeier mit einem Transparent "Trauer um Angehörige oder Ehrung der SS" auf sich aufmerksam machten und gegen die Veranstaltung protestierten, verteilten auch Flugblätter. Vor Ort waren Polizeikräfte aus Detmold und Bielefeld im Einsatz.

Keine weiteren Protestaktionen in Lippe

Im gesamten Kreis Lippe fanden aus Anlaß des Volkstrauertages auch an zahlreichen anderen Orten Feierlichkeiten statt. Nach Angaben des Einsatzleiters Wolfgang Schilling von der Detmolder Polizei habe es aber keine weiteren Protestaktionen während dieser Gedenkfeiern gegeben.

Der Kommentar / Sinnloses Gebrüll

Von Silke Buhrmester

"Warum trauert ihr?" Mit dieser Frage war das Flugblatt überschrieben, das einige Dutzend Demonstranten der Antifa vor Beginn der gestrigen Gedenkfeier an der Dörenschlucht verteilten. Aber nur wenige Blätter fanden einen Abnehmer. "Interessiert mich nicht", "Will ich nichts von wissen" - mit diesen oder ähnlichen Antworten lehnten die meisten Teilnehmer an der Gedenkfeier das Info-Blatt der "Antifaschistischen Aktion" ab. Und so schrien die zumeist jungen Leute ihr Anliegen heraus: "Keine Ehrung der SS!"

Man kann zu den Feierstunden anläßlich des Volkstrauertages stehen, wie man will. Menschen durch laute Parolen in ihrem Gedenken an die Opfer des Ersten und Zweiten Weltkrieges zu stören, ist mit Sicherheit keine Lösung. "Kranzniederlegungen durch öffentliche Institutionen stellen - bewusst oder unbewusst - eine Ehrung von Mitgliedern der Waffen-SS dar", heißt es in dem Flugblatt wörtlich. Diese - augenscheinlich einseitige - Darstellungsweise gibt das Anliegen des Volkstrauertages, den es übrigens schon seit 1922 gibt, vollkommen falsch wieder. Und so erklärte auch Landrat Hans Pohl: "Es soll ein Tag der Versöhnung, Mahnung und Buße sein." Wären die Protestierer nicht so eifrig damit beschäftigt gewesen, ihre Meinung in den Wald zu brüllen, dann hätten sie die Aussagen des Landrates vielleicht zum Nachdenken anregen können.

So aber bleibt festzuhalten: Die Protestaktionen waren nicht nur sinnlos, sondern auch ohne Erfolg. Denn die Teilnehmer an der Gedenkfeier fühlten sich gestört, waren verletzt und geschockt und so natürlich nicht zu einem Gespräch mit den "Störenfrieden" bereit. Diskussionen im Vorfeld zum Thema "Gedenkfiern" wären zwar weniger radikal, aber dafür wahrscheinlich effektiver gewesen.


Detmold@lz-online.de

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