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WebWecker Bielefeld ,
07.04.2004 :
Mangelndes Mitgefühl / Erneute Demonstration gegen Abschiebungen in den Kosovo
Am vergangenen Donnerstag demonstrierten in Bielefeld erneut Angehörige des Bielefelder Flüchtlingsrates gegen die drohende Abschiebung von Ashkali in den Kosovo. Ihre Forderung nach dem Schutz der kosovarischen Minderheiten in Deutschland wird auch vom UNO Flüchtlingskommissariat unterstützt. Nach Meinung der Vereinten Nationen sind deren Leben und Grundrechte im Kosovo gefährdet.
Von Mario A. Sarcletti
Etwa ein Dutzend Menschen hat sich am vergangenen Donnerstag kurz vor zwei vor der Bielefelder Bürgerberatung versammelt. Zwei Wochen zuvor hatten sie noch im Gebäude protestiert, diesmal hieß es für sie auf Anweisung von Oberbürgermeister David: Wir müssen draußen bleiben. Empört zeigt Beate Niemeyer vom Flüchtlingsrat das Schreiben des Immobilienservice-Betriebs (ISB) der Stadt. »Aus grundsätzlichen Erwägungen« könne der Oberbürgermeister keine Genehmigung für den Protest im Rathaus erteilen, heißt es da. Sollten die Demonstranten dennoch in der Bürgerberatung, die für die Meldung von »Abschüblingen« für die Flüge in den Kosovo an die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) Düsseldorf zuständig ist, demonstrieren, werde der Hausfriedensbruch strafrechtlich verfolgt, droht der ISB.
Fünf Bielefelder Familien hat das Ausländeramt bei der ZAB Düsseldorf für die Flüge angemeldet (WebWecker berichtete), die seit vergangenem Juni alle zwei Wochen Flüchtlinge, die in Nordrhein-Westfalen Schutz vor Verfolgung suchten, nach Pristina zurückbringen. Von den Betroffenen ist kurz vor 14 Uhr aber keiner vor der Bürgerberatung. »Im Augenblick ist es so, dass bei den Flüchtlingen selbst kein Unternehmungsgeist mehr da ist«, erklärt Elisabeth Reinhard vom Flüchtlingsrat deren Abwesenheit. Seit den Ereignissen im Kosovo am 18. März hätten sie noch mehr Angst vor einer Abschiebung.
Die ist verständlich, denn auch Ashkali wurden Opfer der Gewaltexzesse des albanischen Mobs. »Mit dem Ruf »Magjupet jasht« (Zigeuner raus) drangen in der Stadt Vucitrn Angehörige der ethnischen Mehrheit in die Häuser von 70 Familien ein und misshandelten und vertrieben die Bewohner«, berichtet Reinhard. Anschließend seien die Häuser in Brand gesteckt worden. »Die 280 Ashkali leben zur Zeit in Zelten auf dem Gelände französischer KFOR-Soldaten«, weiß Elisabeth Reinhard von einem deutschen Vertreter von Pax Christi in Vucitrn.
Aus der Stadt stammt auch eine der fünf Familien, die, zum Teil seit über 14 Jahren, in Bielefeld leben. Dennoch sollen sie nach dem Willen der Innenministerkonferenz in eine »Heimat« abgeschoben werden, die die Kinder der Familien gar nicht kennen, eine Heimat, in der das friedliche Zusammenleben der Volksgruppen nach Meinung des nordrhein-westfälischen Flüchtlingsrats vorerst unmöglich ist. Auch in den Herkunftsorten zweier weiterer Familien habe es Ausschreitungen gegeben, erzählt Elisabeth Reinhard. In einem sei eine Kirche in Brand gesteckt worden. »In einem weiteren wurden Ashkali verprügelt«, hat Elisabeth Reinhard aus dem Krisengebiet erfahren. Auf Schutz durch die albanischen Sicherheitskräfte bräuchten die Opfer dabei nicht zu hoffen. »Die albanische Polizei hat bei den Übergriffen mitgemacht«, wurde ihr berichtet.
UNHCR gegen »aufgenötigte Rückkehr«
Angesichts dieser Lage für die ethnischen Minderheiten in der Provinz sieht die Innenministerkonferenz zur Zeit von einer Abschiebung von Serben und Roma ab. Ashkali und Ägypter hingegen haben im Mai vergangenen Jahres eine »Aufforderung zur freiwilligen Ausreise« erhalten, die gilt nach wie vor. Kommen sie ihr nicht nach, droht die Abschiebung. Das UN-Flüchtlingskommissariat ist damit nicht einverstanden: »Serben, Roma und Ashkali aus dem Kosovo benötigen weiterhin Schutz in Aufnahmeländern wie Deutschland«, erklärte die Organisation am 18. März. Wiederholt hatte sie sich in der Vergangenheit gegen die »zwangsweise oder aufgenötigte Rückkehr der nicht-albanischen Bevölkerung« ausgesprochen.
Auch andere internationale Organisationen schätzen die Lage im Kosovo offensichtlich anders ein als die deutschen Innenminister. Die UN-Verwaltung im Kosovo UNMIK lehnte wiederholt die Aufnahme von Ashkali ab. Der NATO-Befehlshaber für Südeuropa, Admiral Johnson, sprach im Zusammenhang mit den Unruhen ebenso von ethnischen Säuberungen wie Russlands Präsident Putin. Und NATO-Generalsekretär De Hoop Scheffer gibt nach Angaben des Flüchtlingsrates NRW zu, dass die Organisation nicht für die Sicherheit der Minderheiten garantieren könne. Es sei NATO-Truppen nicht möglich, »jeden einzelnen Bauernhof zu schützen«, zitiert ihn die Flüchtlingshilfsorganisation in einer Stellungnahme.
Angesichts dieser Einschätzungen ist die Forderung des Flüchtlingsrates nach einem Bleiberecht verständlich. Dennoch stieß sie bei den Innenministern immer wieder auf taube Ohren. Deshalb hat auch die 43-jährige Hanna aus Duisburg Angst vor der Abschiebung. Zusammen mit einem 17-jährigen Sohn soll sie ausreisen, der Rest der Familie hat eine Aufenthaltserlaubnis. Seit 18 Jahren lebt die Familie in Deutschland. »Mein Bruder hat hier die Schule beendet, jetzt soll er weg, dabei kann er kaum Albanisch«, erzählt Hannas aufenthaltsberechtigter Sohn Dennis, der während der Kundgebung mit einem Dutzend Flüchtlingen vor der Bürgerberatung eingetroffen ist.
Seit 18 Jahren Angst vor Abschiebung
Seit 18 Jahren habe seine Mutter Angst abgeschoben zu werden, beschreibt Dennis, der als ihr Dolmetscher fungiert, Hannas Situation. Auch er habe Angst, wenn sie weg müsse: »Wer weiß, was da hinten morgen oder übermorgen passiert. Es ist doch nicht sicher da im Kosovo«, schätzt er die Lage vor Ort ein. Aber auch um seinen kleinen Bruder sorgt er sich: »Wenn mein Bruder da hinkommt, wird er doch sofort zum Militär eingezogen, direkt in die UCK rein«, vermutet Dennis.
»Schrecklich, sehr schrecklich«, waren für den jungen Ashkali die Bilder vom 18. März und den Tagen danach. Auch in der Stadt Pec, aus der die Familie stammt, gab es Ausschreitungen. »Da sind auch drei Menschen ums Leben gekommen«, berichtet Dennis über die Stadt in der Nähe von Mitrovica, dem Zentrum der Unruhen. Im Kosovo habe seine Mutter keine Angehörigen, dennoch will das Duisburger Ausländeramt sie dorthin abschieben. Vor dem hat Hanna große Angst. »Meine Mutter traut sich gar nicht mehr zur Ausländerbehörde, aus Angst dass sie direkt mitgenommen und abgeschoben wird«, sagt Dennis. Dabei bescheinigt ihr ein Attest ein Rückenleiden, seit vier Jahren muss sie Medikamente dagegen nehmen.
»Die fühlen das nicht mit, was wir fühlen, die fühlen das nicht«, klagt Dennis über die deutschen Behörden. Und bedankt sich gleichzeitig für die Unterstützung durch die wenigen Deutschen, die sich für die Flüchtlinge einsetzen. Die hoffen, dass zur nächsten Demonstration am 15. April vor der Bürgerberatung mehr Menschen kommen, um sich für ein Bleiberecht für die Ashkali in Deutschland einzusetzen. Den nordrhein-westfälischen Innenminister Behrens fordern sie auf, dies auf der nächsten Innenministerkonferenz nach Paragraph 51 des Ausländergesetzes durchzusetzen, der ein Bleiberecht bei Gruppenverfolgung vorsieht. Beate Niemeyer ist allerdings skeptisch, dass das gelingen kann. Denn die Entscheidungen der Konferenz müssen einstimmig fallen. »Man kann sich ja vorstellen, wer da immer dagegen ist«, sieht Niemeyer den Schwarzen Peter vor allem beim schwarzen Beckstein.
Auch Elisabeth Reinhard weiß, dass die Richtlinien nicht in Bielefeld gemacht werden, fordert aber Zivilcourage von dem Leiter der Bürgerberatung, Rolf Gieselmann, ebenso wie von den Bürgerinnen und Bürgern. »Wenn diese Richtlinien falsch sind, sind wir Bürger aufgefordert, etwas dagegen zu setzen«, findet sie. Gieselmann solle die fünf Bielefelder Familien von der Abschiebeliste der ZAB Düsseldorf nehmen, so die Forderung des Bielefelder Flüchtlingsrates.
Bis zur Innenministerkonferenz will der alle zwei Wochen vor der Bürgerberatung demonstrieren, immer dann, wenn ein Flugzeug in Düsseldorf Richtung Pristina abheben soll. »Bis auf weiteres« sind die Flüge seit den Unruhen zwar ausgesetzt, das heißt aber auch, dass sie jederzeit wieder aufgenommen werden können. Bereits der Flug am 1. April sollte nach dem Willen der deutschen Behörden stattfinden, nur der Widerspruch der UNMIK verhinderte ihn.
Zur Demonstration am 15. April will PDS-Ratsfrau Beate Niemeyer auch ihre Kollegen aus dem Rat einladen: »Dann sollen die mal kucken, ob wir wirklich so gefährlich sind, dass wir nicht in das Foyer der Bürgerberatung dürfen«, sagt sie. Außerdem will sie das Verhalten der Stadt gegenüber den Flüchtlingen im Rat thematisieren. Vielleicht gibt der aus Mitgefühl mit den Flüchtlingen den Beamten des Ausländeramtes eine Richtlinie vor, die den hier lebenden Menschen aus dem Kosovo die Angst vor Abschiebung nimmt. Und ihnen den vom UNHCR geforderten Schutz bietet.
Wem gehört das Rathaus?
Zu den Protesten gegen die drohende Abschiebung der Bielefelder Ashkali ein Kommentar von Mario A. Sarcletti
Vor allem zwei Dinge sind es, die im Zusammenhang mit den Protesten vor der Bürgerberatung am vergangenen Donnerstag nachdenklich machen. Das eine ist, dass sie überhaupt nötig sind. In unguter deutscher Tradition setzen deutsche Beamte unmenschliche Vorgaben »von oben« um, selbst wenn diese für die Opfer dieser Maßnahmen nach Meinung des UNHCR eine massive Gefahr für Leib und Leben bedeutet. Bei der Durchführung der Deportationen in den Kosovo beruft sich der deutsche Beamte wie gehabt auf so etwas wie Befehlsnotstand. Dass sich kleine Bürokraten und die deutschen Innenminister dabei über die Einschätzung der Vereinten Nationen hinwegsetzen, erinnert an das Verhalten von George W. Bush im Irakkrieg. Die deutschen Behörden fügen der Weltorganisation damit weiteren Schaden zu.
Nachdenklich stimmt aber auch, dass es selbst Mitgliedern des Bielefelder Rats verboten wird, im Neuen Rathaus ihre Meinung zu äußern. Das Verhalten des Oberbürgermeisters wirft die Frage auf, wem das Rathaus gehört. Haben Ratsmitglieder und Bürger Hausrecht in »ihrem« Rathaus oder die Verwaltung? Oberbürgermeister David scheint der Meinung zu sein, dass das Rathaus ihm gehört.
Das ist ein für die Demokratie gefährlicher Präzedenzfall. Was, wenn zukünftig Bürger, wie zum Beispiel im Fall der Lutter-Freilegung und der Diskussion um die B66n geschehen, bei Ratssitzungen ihre Meinung äußern möchten? Müssen sie befürchten, dass der Oberbürgermeister von »seinem« Hausrecht Gebrauch macht und die Bürger rausschmeißt?
Engagierte Bürger haben am vergangenen Donnerstag vom OB eine schallende Ohrfeige erhalten. Die könnte allerdings zum Bumerang werden. Wenn nämlich die Bürger einer abgehobenen Politikerkaste den Rücken kehren. Das wäre ein Schaden für die Demokratie. Denn eine weitere Entfremdung von »denen da oben« und »denen da unten« schwächt das Vertrauen in diese Staatsform. Deshalb ist zu hoffen, dass die Stadt ihr Verhalten überdenkt, sowohl die Flüchtlinge als auch ihre Unterstützer betreffend.
Sollte sie das nicht tun, handelt sie nach einem von den deutschen Kolonialherren beeinflussten Wort in der Pidgin-Sprache Papua-Neuguineas: Es heißt »Raussim« und bedeutet hinausgehen. Das brüllten deutsche Beamte der indigenen Bevölkerung der Insel in ihren Büros entgegen. Heute hören es Flüchtlinge und die Bürger, die sich für sie einsetzen, mitten in Deutschland.
webwecker@aulbi.de
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