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Lippische Landes-Zeitung ,
31.03.2004 :
Der den Krieg erklärte / Ulrich Tilgner referiert zur VHS-Semestereröffnung
Detmold (Sam). Er hat uns den Krieg erklärt: Ulrich Tilgner, der für das ZDF während der US-Angriffe als Korrespondent in Bagdad tätig war. Gestern Abend berichtete Tilgner zur VHS-Semestereröffnung im Leopoldinum über die Kriegsführung, die Fehler der Besatzer und die Zukunft des Landes an Eufrat und Tigris.
Von Anfang an habe es keinen Zweifel daran gegeben, dass Saddam Hussein gestürzt werden würde, so der prominente Journalist. Der Diktator habe nur geblufft. "Den Verteidigungsring um Bagdad, den er vorgab, hat es nicht gegeben." Dem gegenüber die perfekte Kriegsmaschinerie der US-Amerikaner: "Die Streitkräfte sind so gut vernetzt, dass die Angriffe koordiniert werden, während sie bereits ausgeführt werden."
Nach der Eroberung Bagdads und dem Sturz des Regimes hätten die Besatzer jedoch entscheidende Fehler begangen. "Es gab keinen großen Jubel, als die Bagdad einnahmen. Jedoch war die Mehrheit der Bevölkerung erleichtert, dass Saddam Hussein gestürzt wurde. Die Chance, diese Stimmung zu nutzen, ist vertan worden - und zwar in den ersten drei Tagen nach der Besatzung Bagdads", so Tilgner.
Dadurch, dass die Invasoren nicht eingegriffen hätten, als die Plünderwelle zu rollen begann, habe Saddam einen "entscheidenden psychologischen Sieg" errungen. Laut Tilgner hatte der Despot von Anfang an behauptet, die Amerikaner würden wegen des Öls einmarschieren. Als die Invasoren dann bei den Raubzügen tatenlos zusahen, sei für die Bevölkerung das Motiv der Amerikaner nicht mehr erkennbar gewesen. Die "Legitimität der Besatzer" sei erschüttert worden.
Zudem haben die US-Amerikaner nach Tilgners Einschätzung den Fehler begangen, die "Kader des alten Regimes" ohne Abfindung zu entlassen. Sie seien letztlich als "lebendige Bomben" zurückgekehrt. Diese national-religiösen Kräfte wie auch die sunnitische Terrorfraktion stellten die Besatzer vor große Probleme. Tilgner: "Wir sehen eine hochgerüstete Armee, die hilflos ist gegenüber der traditionellen Art, mit der sie angegriffen wird. Es ist nicht gelungen, die Terrorzellen mit Informationsdiensten zu unterminieren."
Unter anderem sind dies für Tilgner die Ergebnisse des Krieges: Die Wirtschaft des Landes sei völlig zerstört. Die USA hätten zwar einen kurzfristigen militärischen Erfolg erzielt, aber eine Menge politischer Niederlagen einstecken müssen. Und: Die arabische Welt sei politisch instabiler als zuvor. Tilgner sieht eine Chance, das Land zu beruhigen, wenn es gelingt, die politische Führung an den Irak zurückzugeben.
Zu der Frage, warum George W. Bush dem Irak den Krieg erklärt habe, sagte der Journalist: Konzepte, Kriege gegen die von den USA deklarierte "Achse des Bösen" - also Iran, Irak und Nord-Korea - zu führen, gebe es bereits seit den 90er-Jahren. "Massenvernichtungswaffen sind bis heute nicht gefunden worden", so Tilgner. Es gebe also eine Berechtigung der These, dass die Existenz dieser Waffen konstruiert wurde, um den Krieg zu rechtfertigen.
Detmold@lz-online.de
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