Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische ,
30.01.2008 :
Nazi-Terror und Angst in Herford / Eine Ausstellung im Zellentrakt des Rathauses beschäftigt sich mit Hitlers Willkür und seinen Opfern
Von Stefan Boscher
Herford. Es ist der 1. März 1933, gegen 10.30 Uhr. Polizeitruppen bereiten sich in Herford darauf vor, Menschen ohne Grund zu verhaften und zu internieren. Ihre Anweisungen beruhen auf der "Reichstagsbrandverordnung". Nicht einmal zwei Tage zuvor hatte das Parlamentsgebäude in Berlin gebrannt. Bis zu den Abendstunden des 1. März finden sich bereits 17 Menschen – 13 aus Herford und vier aus Hiddenhausen – in den kargen Zellen im Rathauses wieder.
Offiziell befinden sie sich in so genannter Schutzhaft, aber nicht die Inhaftierten sollen geschützt werden. Vielmehr bedient sich die NSDAP um ihren Führer Adolf Hitler dieses Instruments, um unliebsame politische Gegner aus dem Weg zu räumen – mit Hilfe der SA und der örtlichen Polizei. Das Kuratorium Forschen, Erinnern und Gedenken bietet zu diesem Thema derzeit eine Ausstellung im Zellentrakt des Herforder Rathauses an. Titel: "Schutzhaft – Polizeiwillkür im Raum Herford 1933 bis 1945."
Die Gesetze eines Rechtsstaates, die Rechte des Einzelnen, die heute in Deutschland verankert seien – das sei nicht immer so gewesen, sagte Landrätin Lieselore Curländer bei der Eröffnung der Ausstellung: Vor etwas mehr als 60 Jahren hätten "Bürgermeister oder Landräte als Chef der Ortspolizei die Willkür der SA und SS mitgemacht und Menschen ohne rechtliche Grundlagen in Haft genommen."
In Herford ist vor allem die Überlieferung des heimischen SPD-Reichtstagsabgeordneten Julius Finke bemerkenswert. Die Briefe, die Finke an jedem Tag seiner Schutzhaft an seine Familie schrieb, sind vollständig überliefert und zeigen seine Nöte und Ängste. Zahlreiche seiner Dokumente werden erstmals in dieser Ausstellung in Herford im Original gezeigt.
1933 war im Rathaus die Herforder Polizei untergebracht. Mit leiser, bedrückter Stimme berichtete der heutige Leiter der Polizeiinspektion an der Hansastraße, Christoph Keller, von der Arbeit der Beamten unter dem "braunen Terrorregime". Keller: "Die Polizei war damals ein Garant des Nazi-Terrors, da gibt es nichts zu beschönigen."
In der Ausstellung wird anhand von eindrucksvollen Dokumenten der Weg von Häftlingen verfolgt: Wie sie von der Rathaus-Zelle in einem Konzentrationslager gelandet sind, dass die Haftkosten mit 1,50 DM je Häftling und Tag berechnet wurden und dass auch Entlassungen aus der Schutzhaft ebenso willkürlich stattgefunden haben, wie schon die Verhaftung. Mit einer Entlassung verbunden war, den Dokumenten zufolge, häufig die Aufforderung, die Stadt Herford sofort zu verlassen.
"Es begann mit den Kommunisten, dann folgten Sozialdemokraten, politische Gegner und religiöse Gruppen", so Bürgermeister Bruno Wollbrink, immer verbunden mit der Angst, wie es weitergeht: "Jeder ankommende Wagen, jede sich öffnende Tür konnte Schlimmes bedeuten." Im Extremfall die Verlegung in ein Konzentrationslager. Zehn Häftlinge aus Herford wurden zur Verlegung in ein KZ im Juni 1933 gemeldet, im August 62 weitere Personen und im Oktober nochmals 85 Mann.
Wie durchsichtig Hitlers Anweisungen und die Taten seiner Helfer – zumindest für die Betroffenen – waren, schrieb Julius Finke aus der Zelle am 2. April 1933 seiner Ehefrau Elisabeth: "Ich bin kein Strafgefangener. Ich bin auch überzeugt, das ich nicht Schutzhaftgefangener wäre, wenn die Herforder Polizei Herr ihrer Nerven gewesen und ein wenig mehr Selbstbewusstsein an den Tag gelegt hätte, kurz, wenn man im Rathaus nicht völlig den Kopf verloren hätte."
Informationen zur Ausstellung
Die Ausstellung "Schutzhaft – Polizeiwillkür im Raum Herford 1933 bis 1945" wird vom Kuratorium Erinnern, Forschen und Gedenken organisiert und ist im Zellentrakt des Herforder Rathauses, Rathausplatz 1, bis zum 5. Juli immer samstags von 14 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung (unter anderem für Schulklassen) zu besichtigen.
Zusätzlich zur Ausstellung wird ein Begleitprogramm angeboten. Eine Veranstaltung aus diesem Programm steht bereits fest: Am Mittwoch, 16. April, 19 Uhr spricht der Leiter der Herforder Justizvollzugsanstalt, Friedrich Waldmann, über "Schutzhaft aus Sicht des modernen Strafvollzuges".
Informationen gibt es im Internet unter www.kuratorium-herford.de oder www.zellentrakt.de , per E-Mail über info@zellentrakt.de oder unter Tel. (05221) 1892 57.
Bildunterschrift: Historie zum Anfassen: Eine Installation im Innenhof des Rathauses (oben), die aus drei Pappfiguren besteht, gehört ebenso zur Ausstellung im Zellentrakt, wie die Briefe (Mitte), die Julius Finke an seine Frau Elisabeth geschrieben hat (unten).
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