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Mindener Tageblatt ,
27.03.2004 :
"Wer lange hier lebt, muss bleiben dürfen" / Pro Asyl-Aktion / Junger Mann aus Afghanistan hofft darauf, in Minden bleiben zu dürfen
Minden (mt). Jeden Tag die Angst, gehen zu müssen - auch wenn man schon lange in der Region lebt: Das ist Alltag für viele Asylbewerber auch in Minden.
Die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge "Pro Asyl" hat eine Initiative unter der Überschrift "Wer lange hier lebt, muss bleiben dürfen" gestartet. Pro Asyl weist darauf hin, dass es über 200 000 Menschen in Deutschland gibt, die behördlich geduldet werden, aber kein Aufenthaltsrecht haben.
Viele von ihnen sind Kriegsflüchtlinge, die kein Asyl erhielten, aber wegen der Zustände in ihrem Heimatland trotzdem nicht abgeschoben werden konnten. Diesen Menschen droht selbst nach jahrelangem Aufenthalt die Abschiebung.
Nur zirka drei Prozent der Asylbewerber haben im vergangenen Jahr eine Anerkennung als Flüchtling und damit einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland bekommen. Viele der nicht anerkannten können aber nicht in ihre Heimatländer zurückkehren, zum Beispiel wegen einer schweren Krankheit oder, weil ihr Herkunftsland sich weigert, Pässe für sie auszustellen.
"Im Kirchenkreis Minden gibt es Menschen, die seit 15 Jahren hier leben und immer noch keinen gefestigten Aufenthaltsstatus haben", so Thomas Gießen, Synodalbeauftragter für Asyl im Kirchenkreis. Das bedeute für diese Menschen eine hohe psychische Belastung und Abhängigkeit vom Sozialamt.
Der Mindener Arbeitskreis "Betrifft Asyl" und die Flüchtlingsberatungsstelle des Kirchenkreises Minden unterstützen die Initiative von Pro Asyl: "Auch in unserer Stadt gibt es Menschen, die ein Bleiberecht erhalten sollten", so Thomas Gießen. Es gebe sicher auch Flüchtlinge, die irgendwann ohne Gefahr in ihr Heimatland zurückkehren könnten, das gelte aber nicht für alle.
Mit 16 entführt für den Militärdienst
Zum Beispiel nicht für Murat A. (21) aus Afghanistan (Name geändert). Vor fünf Jahren wurden er und seine Klassenkameraden während einer Mathematikarbeit von den damaligen Machthabern, den Taliban, verhaftet. Sie sollten zum Militärdienst gegen den Kriegsgegner, die "Nordallianz" gezwungen werden. Murat A. kam noch einmal frei, seine Eltern schickten ihn, aus großer Sorge, dass die Taliban ihn in kurzer Zeit erneut verhaften würden, mit einem Onkel in das Nachbarland Pakistan.
Sie teilten ihm nicht mit, dass der Onkel den Auftrag hatte, ihn nach Deutschland zu bringen. Auch Pakistan, ein Land, in dem die Taliban viele Freunde haben, war ihnen zu unsicher.
In Frankfurt angekommen, wurde Murat nach Minden "umverteilt", dort wohnte er zunächst in der Kaserne an der Ringstraße, ehe ihm das Sozialamt der Stadt Minden eine Wohnung, zunächst noch mit seinem Onkel, später dann eine für ihn alleine, in der Mindener Altstadt zuteilte. Murat A.: "Von der Stadt Minden bin ich immer gut behandelt worden." Er spielt Fußball bei einem Mindener Verein und ist Schüler eines hiesigen Gymnasiums.
Lieber hätte er im letzten Jahr eine Lehre begonnen, doch da er in Deutschland nur geduldet ist, kein Aufenthaltsrecht hat, bekam er keine Arbeitserlaubnis. Der Firmeninhaber einer KFZ-Werkstatt hätte ihn gerne eingestellt.
Seitdem er in Deutschland ist, hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Niemand weiß, was aus ihnen geworden ist, die ganze Familie ist in den Wirren des Bürgerkriegs einfach verschwunden.
Im Bürgerkrieg verschwand Familie
Sollte Murat eines Tages nach Afghanistan zurückkehren müssen, weiß er nicht, wohin er gehen soll. Thomas Gießen: "Murat sollte ein Bleiberecht bekommen. Dann könnte er arbeiten, sich seinen Lebensunterhalt selbst verdienen, müsste nicht von staatlicher Unterstützung leben. Er ist so gut in Deutschland integriert, dass eigentlich niemand etwas dagegen haben könnte, wenn er hier bleiben dürfte. Nur die Gesetzeslage lässt das zurzeit leider noch nicht zu."
27./28.03.2004
mt@mt-online.de
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