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Schaumburger Zeitung ,
26.03.2004 :
"Munition mag das nicht, wenn man mit dem Hammer draufhaut“ / Joachim Kocherscheidt hält Vortrag über Landminen / "Das Geschäft ist nicht ohne"
Von Herbert Busch
Bückeburg/Minden. 40 Millionen, 60 Millionen, 100 Millionen – korrekte Schätzungen über die Zahl der weltweit verlegten Landminen sind ähnlich schwer zu finden wie die Sprengkörper selbst. Tatsache ist, dass (nach Angaben der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen) 2001 mehr als 8.000 und 2002 mehr als 11.000 Minenopfer (Tote und Verletzte) registriert wurden. Die Kampagne kalkuliert eine Dunkelziffer von etwa 20.000 Opfern pro Jahr. "Ein Konfliktpotential ungeheuren Ausmaßes", erkennt Klaus Suchland. "Das war mein täglich Brot", sagt Joachim Kocherscheidt. Suchland und Kocherscheidt beleuchteten die Thematik Minenräumung während eines Vortrages der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik (GfW) im Mindener "Hotel Bad Minden" aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Während im US-amerikanischen Verteidigungsministerium Pläne eines sich selbst wiederherstellenden Minenfeldes (Self-Healing Minefield) die Runde machen begeben sich anderenorts außer Menschen auch speziell trainierte Hunde und Ratten auf die Suche nach den Sprengstoffen. Sogar eine genmanipulierte Variante der Mausohrkresse (auch als Ackerschmalwand bekannt) soll beim Auffinden der im Boden vergrabenen Explosivstoffe hilfreiche Dienste leisten. "Unter Leitung der UN werden zwar Minen geräumt, aber durch kriegführende Parteien auch immer wieder neu verlegt", benannte Suchland das grundsätzliche Problem. Die Lösung der Problematik gleiche dem Versuch, ein gefüllte Wanne, die durch einen geöffneten Wasserhahn ständig gespeist wird, mit einem Teelöffel auszuschöpfen, zitierte er den früheren Außenminister Klaus Kinkel. Der GfW-Sektionsleiter gab die Zahl der Minenopfer mit etwa 2.000 pro Tag an. Das entspräche einer Jahresopferzahl von 730.000.
Kocherscheidt, bei Auslandeinsätzen in Sarajewo, Pristina und Kabul geschulter Praktiker, näherte sich der Problemstellung auf handfeste Art und Weise. "Munition mag das nicht, wenn man mit dem Hammer draufkloppt", rief der Oberstleutnant in Erinnerung. Der – nach seinen Angaben – "Dinosaurier der Feuerwerkerei des deutschen Heeres" vermittelte mit einem reich bebilderten und von zahlreichen persönlichen Erfahrungen gespickten Vortrag ein Bild der Minenräumung, das den Zuhörern ein ums andere Mal den Atem stocken ließ. "In Leichen versteckte abgezogene Handgranaten", "Slibowitz-Verminungen" und die Erkenntnis, dass im Räumungsgeschäft auch allerhand zweifelhafte Organisationen, Vereinigungen und Beutelschneider engagiert sind – "das Demining-Geschäft ist nicht ohne" – sensibilisierten das Publikum für die Sichtweise Feuerwerkers.
"Ich wage zu bezweifeln, dass alles Geld dort landet, wo es landen sollte", mahnte Kocherscheidt eine aufmerksame Beobachtung der Finanzströme an. Zugleich kritisierte er "weltfremde Dotierungen" der Einsatzkräfte vor Ort. "Wenn eine Ärztin auf dem Minenfeld dreimal soviel Geld verdienen kann wie in der Klink, muss man sich nicht wundern, dass sie dem Krankenhaus den Rücken kehrt."
Der Oberstleutnant, der seit Oktober 2000 Kommandant des in der Nähe von Magdeburg angesiedelten Truppenübungsplatzes Klietz ist, machte darauf aufmerksam, dass die Feuerwerker-Abteilung der Bundeswehr gegenwärtig etwa 120 freie Stellen ausweist. In dieser Abteilung verlaufe die Entwicklung antizyklisch. Bezüglich der Ausrüstung (inklusive Räumgerät und Schutzanzügen mit Kühlunterwäsche) sei ein Quantensprung zu verzeichnen.
Unterdessen laufen die Forschungen mit so genannten Bio-Sensoren weiter: Bienen werden darauf trainiert, nach 2,4-Dinitrotoluol (einem Bestandteil von TNT) zu schnüffeln. Der Geruchssinn von Schweinen, Mungos und Kakerlaken verspricht weitere Fortschritte. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala der Forscher steht indes nach wie vor die gewöhnliche Hausratte. Diese Spezies besitzt einen ähnlich gut entwickelten Geruchssinn wie der gemeine Straßenköter. Sie ist im Vergleich zu Hunden aber anspruchsloser, weniger krankheitsanfällig und leichter trainierbar. Darüber hinaus attestieren durchaus ernst zunehmende Wissenschaftler den Nagern die Fähigkeit, antrainiertes Wissen innerhalb weniger Generationen im Erbgut an ihre Nachfahren weitergeben zu können. Dann wären die von zahlreichen Legenden umgebenen Langschwänzer dem Self-Healing Minefield einen Schritt voraus.
f.werner@schaumburger-zeitung.de
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