Deister- und Weserzeitung ,
11.01.2008 :
Beklemmende Erinnerungen an Theresienstadt / Zeitzeugin erinnert sich / Ausstellung
Bad Pyrmont (jl). Menschen, die erzählen können, wie es ist, in einen Eisenbahnwaggon gepfercht ins KZ deportiert zu werden und dort unvorstellbare Grausamkeiten zu erleiden und irgendwie zu überstehen, sind rar. Und die Zahl der ohnehin schon wenigen Zeitzeugen schrumpft immer mehr.
Die heute 76 Jahre alte Margot Kleinberger aus Hannover ist eine solche Zeitzeugin. Über ihre Erinnerungen an das Lager Theresienstadt, in das sie im Juli 1942 als Elfjährige mit den Eltern und der jüngeren Schwester deportiert wurde, sprach sie jetzt auf Einladung des "Arbeitskreises 27. Januar" vor rund 40 Zuhörern im Pyrmonter Rathaus. Anlass war die Eröffnung der Ausstellung "Zerrissen – Kinder als Opfer im Nationalsozialismus" im Foyer.
Was die zerbrechlich wirkende kleine Frau mit der energischen Stimme und den signalrot gefärbten Haaren antreibt, ihre Geschichte zu erzählen, stellt sie schnell klar: "Wie lange ich noch existiere, weiß ich nicht. Und wenn ich tot bin, wird niemand mehr darüber sprechen." Irgendjemand müsse aber gerade den jungen Leuten die Wahrheit sagen, "damit sie das nicht wieder zulassen". Denn: "Menschen sind nur Menschen. Und wenn sie fanatisiert werden, sind sie zu allem fähig." Es sei erschreckend, zu sehen, wie aus eigentlich kultivierten Leuten anmaßende wurden, die absolut unmenschlich handelten.
Von den frühen Demütigungen und Drangsalierungen in der Heimatstadt Hannover ("Uns Juden durfte ja jeder mit Steinen bewerfen; ich kenne das gar nicht anders"), von stinkenden Leichenbergen im Lager ("Ich habe mir gleich gedacht, dass man da kaum 'rauskommt") und den medizinischen Versuchen auf der Infektionskrankheiten-Versuchsstation zu sprechen, deren Opfer sie in Theresienstadt wurde, fällt der 76-Jährigen noch immer nicht leicht. Und man spürt die selbstschützende Distanz, wenn sie erzählt, wie sie dieser Hölle nach drei Monaten gelähmt und ohne Stimme entkam und man sie wieder zu den Eltern schickte, denn: "Für Experimente taugte ich nicht mehr, denn ich war ja schon nicht mehr so ganz lebendig."
Dass Margot Kleinberger nicht nach Auschwitz deportiert und dort noch im Waggon vergast wurde, verdankte sie einem Zufall: Der Soldat, der 1944 in Theresienstadt über das weitere Schicksal ihrer Familie entschied, hatte mit ihrem Vater im Ersten Weltkrieg gekämpft. Er ließ ihre Namen in die kurze Liste derer eintragen, die nicht abtransportiert wurden – während die Zettel mit den Namen der zu Ermordenden einen großen Sack füllten.
Am 8. Mai 1945 wurde Theresienstadt befreit. Weil die Rotarmisten dort damals Tee und Graupensuppe verteilten ("Das erste richtige Essen nach drei Jahren"), "gibt es bei uns noch heute jedes Jahr am 8. Mai Graupensuppe", sagt die KZ-Überlebende.
So sehr es sie fordert, von den Gräueln des Lagers zu sprechen, so scheint Margot Kleinberger auch der Konfrontation doch auch Kraft zu ziehen – zumal sie bis in die frühen 80er Jahre hinein darüber geschwiegen hatte. "Ich habe mich geschämt, so 'runtergekommen zu sein", sagt die Mutter von sechs Kindern. Und, was sie lange erzürnte: "Niemand von den Überlebenden ist je wieder richtig hochgekommen. Aber die Nazis blieben auf ihren Posten." Sie findet: "Es hätte eine große Revolution geben sollen."
Als Margot Kleinberger nach ihrem Vortrag kurz die Schautafeln der Ausstellung im Foyer betrachtet, stellt sie immer wieder Parallelen zum eigenen Leben fest: "Der Junge war genauso alt wie ich", sagt sie beim Blick auf das Zeugnis eines grausam zerstörten, jungen Lebens. Und findet: "Eigentlich hätte ich gar nichts zu erzählen brauchen." Die Schau sage doch alles. Das dürften die Zuhörer an diesem Abend anders empfunden haben. Denn so viel Kraft es Margot Kleinberger auch kosten mag, die schmerzhaften Erinnerungen immer wieder hervorzuholen, so eindrucksvoll sind doch die Schilderungen der Überlebenden für Menschen, die das Erlebte sonst nur aus dem Geschichtsunterricht kennen.
Ihre Erinnerungen und die vom "Arbeitskreis 27. Januar" ins Rathaus geholte Ausstellung mit Kinderbildern, -gedichten und Texten führen das Grauen, das manche Alte noch immer und Jüngere schon wieder leugnen, vor Augen – auch wenn das Erlittene die Vorstellungskraft sprengt. "Wir dürfen nicht vergessen, dass so etwas in unserem Land passieren konnte", mahnte Vize-Bürgermeister Udo Nacke zur Begrüßung.
Bildunterschrift: Mit Klaus Titze vom "Arbeitskreis 27. Januar" betrachtet Margit Kleinberger den Lageplan von Theresienstadt.
Bildunterschrift: "Wenn Menschen fanatisiert werden, sind sie zu allem fähig." – Margot Kleinberger im Gespräch mit Konfirmanden aus Lügde.
Bildunterschrift: Bis zum 23. Januar ist die Ausstellung "Zerrissen – Kinder als Opfer des Nationalsozialismus" im Pyrmonter Rathaus zu sehen.
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