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WebWecker Bielefeld ,
24.03.2004 :
Daten für die Anti-Antifa?
Die erkennungsdienstliche Behandlung von Menschen, die im Oktober vergangenen Jahres gegen ein Seminar von NPD-Anwalt Horst Mahler im Collegium Humanum demonstrierten, ist nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vorerst aufgeschoben. Dass sie auch aufgehoben wird, wollen die Betroffenen durch ihre Anwälte erreichen. Nicht nur, weil sie nicht in der Verbrecherkartei, sondern vor allem, weil sie nicht in den Dateien der Anti-Antifa auftauchen wollen.
Von Mario A. Sarcletti
Eigentlich findet Dirk Butenuth, Leiter des Bielefelder Staatsschutzes, die Antifa in Bielefeld voll in Ordnung: "Die Ziele unterstützen wir absolut. Es ist gut, wenn man sich gegen Rechtsextremismus engagiert", findet der oberste Schützer der Demokratie in Bielefeld. Nur die Art und Weise des Engagements bereitet ihm manchmal Probleme. Wie zum Beispiel das gegen eine Seminarreihe des NPD-Anwalts Horst Mahler im Collegium Humanum in Vlotho (WebWecker berichtete).
Da hatten 30-40 Menschen mit einer unangemeldeten Demonstration drei Stunden lang den Parkplatz der rechtsextremen Bildungsstätte blockiert. Für Butenuth begingen die Demonstranten im Oktober damit eine Straftat nach dem Versammlungsgesetz: "Da die Demonstration nicht angemeldet wurde, ist es zu einer schwer handhabbaren Situation gekommen, weil sich zwei Streifenwagen über dreißig Demonstranten gegenüber sahen. Sie waren in diesem Fall nicht in der Lage, die Zufahrt zu gewährleisten", sagt Butenuth. Da für die Teilnehmer des Mahler-Seminars die Anreise zu diesem nicht möglich war, erstatteten die Leiterin der rechtsextremen Bildungsstätte Ursula Haverbeck-Wetzel und ihr Hausmeister Anzeige wegen Nötigung.
Die Folge waren Vorladungen für die Antifas, deren Personalien aufgenommen worden waren. Nicht nur zur Vernehmung, gar zur erkennungsdienstlichen Behandlungen sollten sie erscheinen. Ausdrücklich wiesen die Staatsschützer in den 28 Vorladungen darauf hin, dass Widersprüche gegen die ED-Behandlungen keine aufschiebende Wirkung hätten. In der vergangenen Woche sah dies das Verwaltungsgericht Minden anders: Erst muss die Bezirksregierung über den Widerspruch der Betroffenen gegen Foto und Fingerabdruck entscheiden, bevor die Betroffenen die Prozedur eventuell über sich ergehen lassen müssen.
"Ich sehe das als Entwicklung, die sich seit Jahren abspielt, mit der Antifaschistinnen und Antifaschisten auf Anzeigen von Neonazis hin kriminalisiert werden sollen", erklärt Max H. (Name geändert) von der Antifa AG der Uni Bielefeld. Die Proteste vor dem Collegium Humanum seien in ruhiger und besonnener Atmosphäre abgelaufen. "Auch seitens der anwesenden Polizei zunächst", wie er betont. "Die haben ihrerseits die anreisenden Teilnehmer an dem Neonaziseminar weggeschickt mit den Worten: Sie würden ja sehen, dass da heute keine Veranstaltung stattfinden könnte", beschreibt er die Situation vor Ort.
Eher friedliche Antifa
Auch Dirk Butenuth schätzt die Bielefelder Antifa als eher friedfertig ein. Es habe zwar bei einer Demonstration gegen den "Postmeister", einen ehemaligen Treffpunkt von Rechtsradikalen am Kesselbrink, Tätlichkeiten gegen den Sohn der Wirtin des Lokals und bei einer Demonstration im Januar in Bünde einen Landfriedensbruch gegeben. "Aber in der Regel verlaufen die Demonstrationen schon eher friedlich. Es ist eher die Ausnahme, dass es zu Straftaten kommt", urteilt der oberste Bielefelder Staatsschützer über die lokale Antifa.
Dennoch verteidigt Butenuth den Wunsch nach erkennungsdienstlicher Behandlung der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Immer wieder gebe es auf antifaschistischen Demonstrationen "ähnliche Sachverhalte". Deshalb sei man daran interessiert Fotos von den Antifa-Aktivisten zu bekommen. "Wir haben Strafverfolgungszwang, wir müssen Leute identifizieren und mit den Fotos, die wir dann machen würden, hätten wir über Videomaßnahmen bei Demonstrationen die Möglichkeit dazu", beschreibt Butenuth das Interesse seiner Behörde an der ED-Behandlung und räumt ein, dass sie auch noch einen zweiten Grund hat: "Der zweite Aspekt der erkennungsdienstlichen Behandlung ist der der Abschreckung. Wir gehen davon aus, wenn jemand bekannt ist wegen solcher Taten, dass sich die dann nicht wiederholen", erklärt der Staatsschutzchef den Wunsch nach Fotos und Fingerabdrücken.
Gegen den wehrt sich die Antifa aber nicht nur aus Angst vor staatlicher Verfolgung, sondern auch wegen der vor nicht-staatlicher. Die heißt Anti-Antifa und ist ein Konzept der Neonaziszene von Mitte der 90er Jahre. Das beinhaltete Daten über politische Gegner zu sammeln, zu veröffentlichen, die Betroffenen zu bedrohen und einzuschüchtern. Dass die Anti-Antifa keine theoretische sondern eine ganz konkrete Gefährdung für Menschen ist, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, beschreibt Max H.: "So ein Anti-Antifa-Aktivist der ersten Stunde, Kai Diesner, hat 1997 in Berlin einen Buchhändler, der der linken Szene zugerechnet worden ist, überfallen, angeschossen und dann auf der Flucht einen Polizisten erschossen. Der ist heute inhaftiert und so das berühmteste und letztendlich auch traurigste Beispiel für die Gefährlichkeit dieser Anti-Antifa."
Systematische Anzeigen durch Neonazis
Max H. befürchtet, dass die Datensammlung der Anti-Antifa seit einiger Zeit mit Unterstützung der Behörden wächst: "Im April 2002 hat das Berliner Landeskriminalamt Daten, die es über Antifaschistinnen und Antifaschisten gesammelt hat, ohne Aufforderung an die NPD herausgegeben, nachdem Antifas Plakate der Partei abgerissen haben sollen", beschreibt Max die Initialzündung für eine neue Strategie der Rechtsextremen und vermutet: "Da sind wohl Neonazis derart auf den Geschmack gekommen, dass sie seitdem relativ systematisch Anzeigen erstatten und auf ähnliches Vorgehen der Polizei hoffen."
Kommt es auf Grund der Anzeigen zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, erhalten die Anzeigeerstatter und potenziellen Nebenkläger über ihre Anwälte Akteneinsicht und kommen so an die Daten ihrer Gegner. Max H. vermutet, dass das auch bei Vorkommnissen in Aachen im vergangenen Jahr so gelaufen ist. Im April veranstalteten Antifas eine so genannte antifaschistische Kaffeefahrt, bei der sie vor den Wohnhäusern von Neonazis demonstrierten. Einige Tage nach der Aktion erstatteten die Besuchten Anzeigen wegen Beleidigung. "Die Nazis fühlten sich durch die Bezeichnung als Nazis beleidigt", wundert sich Max H.
Die Polizei in Aachen reagierte auf die Anzeigen, wie jetzt auch die Bielefelder Kollegen. "Es ist genau das gelaufen, was sich die Neonazis auch versprochen haben: Die Polizei hat Menschen, die ihnen durch langjähriges antifaschistisches Engagement bekannt waren, vorgeladen, sowohl zu Zeugenvernehmungen als auch zu erkennungsdienstlichen Behandlungen." Einer der Vorgeladenen ist nun seit einigen Wochen im Visier der Rechten. "Er beziehungsweise sein Auto, das vor seinem Wohnhaus geparkt war, wird seit zwei, drei Wochen mehrfach von Neonazis angegriffen. Man muss davon ausgehen: ihnen ist dieser Braten serviert worden, ihnen ist die Adresse, möglicherweise ein Foto frei Haus geliefert worden und jetzt setzen sie ihre Erkenntnisse in Einschüchterungsversuche um", beschreibt Max H. seinen Verdacht.
Er erzählt, dass sich der Trend zur Anzeige auch im Ruhrgebiet abzeichne, jetzt habe er scheinbar Ostwestfalen erreicht. Max H. erhebt schwere Vorwürfe gegenüber der Polizei: "Es gehört ganz klar darauf hingewiesen, dass es der so genannte Staatsschutz ist, der sich hier ganz aktiv an dieser Anti-Antifa-Arbeit, also an einem neonazistischen Aktionsfeld, beteiligt, diesem zuarbeitet und damit nicht nur ganz konkret Menschen in Gefahr bringt, sondern auch eine politische Aktionsrichtung unterstützt, die er zu bekämpfen vorgibt", empört er sich über den, wie er sagt, Skandal.
Dirk Butenuth sieht durch die Ermittlungen allerdings keine konkrete Gefährdung für die Antifaschistinnen und Antifaschisten, auch wenn er diese "nicht von der Hand weisen will". Grundsätzlich sei es zwar so, dass die Anzeigeerstatter über einen Anwalt Akteneinsicht nehmen können. Er fügt aber hinzu: "Allerdings ist die Szene, die wir hier im Collegium Humanum vertreten haben, bisher nicht dadurch in Erscheinung getreten, dass sie andere Leute bedrohen oder Körperverletzung zum Nachteil anderer Leute begehen. Es handelt sich da ja überwiegend um Revisionisten, also um eine intellektuelle Ausprägung des Rechtsextremismus", glaubt er nicht daran, dass bei den Antifaschisten demnächst die Schläger vor der Tür stehen.
Auch Max H. weiß, dass im Collegium Humanum nicht der braune Mob von der Straße verkehrt: "Es ist seit Jahrzehnten bekannter Treff für Neonazis, nicht für den Skinhead von nebenan, sondern für die intellektuellen Vordenker der Neonaziszene, wie sich aktuell auch an den ständigen Veranstaltungen von Horst Mahler dort zeigt." Er weiß aber auch, dass die Gedanken dieser Vordenker auf fruchtbaren Boden fallen und bei einer bestimmten Klientel explosiv sein können: "Die liefern im Collegium die Munition für diejenigen, die dann auf die Straße gehen und das in die Tat umsetzen." Der, der die Munition liefert, kann übrigens selbst in den Akten seiner Gegner stöbern, schließlich ist Horst Mahler ja Anwalt. Ihre Visitenkarte würden Antifaschisten dem wohl nicht so gerne überreichen.
webwecker@aulbi.de
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