Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische ,
06.12.2007 :
Entzauberung eines Mythos' / Schüler der Janusz-Korczak-Schule arbeiteten im Bertelsmann-Archiv
Gütersloh (NW). Dass im Geschichtsunterricht Themen und Ereignisse aus der Vergangenheit auch ganz praxisorientiert erarbeitet werden können, haben in den vergangenen Wochen 13 Schüler des Leistungskurses Geschichte an der Janusz-Korczak-Gesamtschule in Gütersloh erlebt.
Sie nahmen am ersten externen Geschichtsprojekt des Bertelsmann-Unternehmensarchivs teil – ein Schulprojekt zum Thema "Bertelsmann im Dritten Reich". Zwei Wochen lang hatten die Schüler sich dafür mit Originalquellen aus dem Unternehmensarchiv befasst und in Projektgruppen verschiedene Themenaspekte erarbeitet.
"Das Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus ist auch heute noch sehr groß", sagte Uwe Tack vom Unternehmensarchiv bei der Begrüßung der Schüler. Eine von vielen Fragen zur deutschen Vergangenheit sei, wie sich die Unternehmen hierzulande in dieser Zeit verhalten und unter welchen Bedingungen sie gearbeitet hätten, eben jene Fragen, mit denen sich der Leistungskurs am Beispiel Bertelsmann auseinandergesetzt habe.
Die Zensur- und Literaturpolitik im Nationalsozialismus, der Arbeitsalltag bei Bertelsmann, das literarische Programm in dieser Zeit und die Schließung des Verlags waren einige der spannenden Themen an diesem besonderen Schultag.
Eine Projektgruppe erklärte zum Beispiel, welche literarischen Gattungen der Bertelsmann-Verlag in der Zeit des Dritten Reiches verlegt habe. Mit Statistiken dokumentierten die Schüler, dass die theologische Sparte des Verlags seit der Machtergreifung der Nazis kontinuierlich an Umfang verloren habe. Stattdessen habe sowohl klassische deutsche Literatur als auch Literatur mit völkisch-nationaler und auch antisemitischer Ausrichtung einen großen Anteil der Verlagsarbeit eingenommen.
Eine andere Gruppe hatte sich mit der Schließung des Verlags 1944 beschäftigt. Sie referierte die Ergebnisse der Unabhängigen Historischen Kommission, die mit ihren wissenschaftlichen Untersuchungen den Mythos des "Widerstandsverlags" zerschlagen hatte. Das jahrelang gepflegte Selbstbild, Bertelsmann sei wegen seiner oppositionellen Haltung geschlossen worden, sei falsch gewesen, wussten die Schüler.
Geschichte direkt vor Ort erfahren
Für die Janusz-Korczak-Gesamtschule war die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen im Rahmen ihres Geschichtsunterrichts eine bisher einmalige Erfahrung. Ganz sicher eine positive, wie Berit Lohsträter, Leiterin des Geschichtsleistungskurses, erklärte: "Für unsere Schüler war das Projekt eine tolle Gelegenheit, Geschichte einmal nicht nur aus den Schulbüchern, sondern in der Auseinandersetzung mit den Quellen und direkt vor Ort im Bertelsmann-Unternehmensarchiv ganz authentisch zu erfahren."
Die fleißigen Projektteilnehmer sahen das nicht anders. "Einmal echte Quellen direkt in der Hand zu haben und mit ihnen zu arbeiten, hat Spaß gemacht", meinte etwa Michael Lamberjohann. Auf diesem Weg einen Einblick in die Lokalgeschichte erhalten zu haben, war für Frieda Olfert ein echter Gewinn – "besonders spannend fand ich zum Beispiel, dass wir etwas über das Geschehen in der Reichspogromnacht in Gütersloh gelernt haben".
lok-red.guetersloh@neue-westfaelische.de
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