|
Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische ,
23.03.2004 :
Vor 60 Jahren Luftkampf über Frotheim / Wilhelm Stockmann erinnert sich: Britische Lancaster stürzte 800 Meter neben seinem Wohnhaus ab
Von Joern Spreen-Ledebur
Espelkamp-Frotheim. Als er den brennenden Bomber auf sein Haus zurasen sah, da hat er in dem Moment für sein Leben vielleicht nicht mehr viel gegeben. Aber Wilhelm Stockmann hatte Glück. Der britische Bomber stürzte nur 800 Meter entfernt vom Haus der Stockmanns in Frotheim ab. Diese Bilder hat der heute 72-Jährige nie vergessen. Am heutigen Dienstag jährt sich der Absturz zum 50. Mal.
Vier Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen hatte der Krieg die Heimat längst erreicht. Bomberverbände flogen auch über das Lübbecker Land, um ihre todbringende Fracht über Städte und Industrieanlagen abzuladen – ganz wie dies die deutsche Luftwaffe anfangs über Rotterdam oder Coventry getan hatte.
Minden, Osnabrück, Bielefeld – das waren Ziele des Bombenkrieges. Dieser Bombenkrieg ließ aber auch den damaligen Kreis Lübbecke nicht unversehrt. Wiederholt wurden alliierte Bomber abgeschossen – ob in Schnathorst, ob im August 1944 in Tonnenheide. Im Dezember 1943 ereignete sich der wohl folgenschwerste Abschuss. Ein mit Munition voll beladener Bomber stürzte in Oppendorf ab und zerstörte weite Teile des Ortskernes und tötete zahlreiche Menschen und Tiere.
Derart folgenschwer war der Absturz eines britischen Lancaster-Bombers nicht, der sich am 23. März 1944 in Frotheim ereignete. Die Bilder sind Wilhelm Stockmann aber bis heute in Erinnerung geblieben. Eine Episode des Krieges an der so genannten Heimatfront.
Immer wenn es nachts Flugzeugbewegungen gegeben habe, dann sei er draußen gewesen, erzählt Wilhelm Stockmann im Gespräch mit der NW. So war es auch in den Abendstunden des 23. März 1944.
Ein Bomberverband kam über den Dümmer, flog in Richtung Hüllhorst. Ziel des Angriffs war die Stadt Frankfurt am Main. Mehr als 780 alliierte Bomber waren in jener Nacht aufgestiegen, hat Wilhelm Stockmann viele Jahre später bei Recherchen auch in britischen Archiven herausgefunden.
In der klaren Nacht sah der damals zwölfjährige Wilhelm Stockmann dann, wie deutsche Nachtjäger etwa über Stockhausen/Blasheim die Bomber attackierten. Rund 240 deutsche Jäger seien nämlich gegen die Alliierten aufgestiegen, fand der Frotheimer bei seinen langjährigen Recherchen heraus.
Ein Bomber sei beschossen worden, habe sofort Feuer gefangen und dann dort abgestürzt, wo sich heute das Parkdeck des Lübbecker Krankenhauses befinde. Zwei der sieben Besatzungsmitglieder starben. Den Absturz konnte er von Frotheim aus sehen. "Wenn 10.000 Liter Benzin verbrennen, dann kann man sich vorstellen, wie der Himmel glühte."
Knapp zehn Minuten später konnte Wilhelm Stockmann einen weiteren Luftkampf verfolgen. Wieder schoss ein deutscher Jäger eine britische Lancaster ab. Der Bomber habe Feuer gefangen und sei von seiner Route abgewichen. "Steuerlos und brennend flog er auf unser Haus zu."
Brennender Bomber erleuchtete die Umgebung taghell
Was in jenem Augenblick in dem damals zwölfjährigen Frotheimer vorging, mag man sich heute nicht mehr vorstellen. "In 800 Meter Entfernung platzte er dann wie eine Seifenblase auseinander." Einer der Piloten sei dabei getötet worden und wurde später beerdigt. "Das war ein korrektes Begräbnis. Es war doch schließlich auch ein Mensch."
Taghell habe der brennende Bomber beim Absturz die Umgebung erleuchtet. Zwei, drei Tage später hätten die Landwirte dann den Befehl bekommen, die Trümmer einzusammeln und mit ihren Leiterwagen zum Gestringer Bahnhof zu fahren. "Das waren 23 große Leiterwagen voll." Die Trümmer wurden in der deutschen Rüstungsindustrie wieder verwendet ...
Nur ein etwa 30 Kilogramm schweres Propellerblatt des viermotorigen Bombers lag zu tief im Erdreich. Es wurde erst viele Jahre später beim Pflügen entdeckt; Wilhelm Stockmann verwahrt es heute als Erinnerung an jene Nacht.
Die Lancaster hatte – auch das fand Stockmann bei Recherchen heraus – unter anderem Sprengbomben, Markierungsbomben und mehr als 600 Stabbrandbomben geladen. Eine große, etwa vier Tonnen schwere Sprengbombe detonierte nicht. "Die lag wie eine riesige Wurst auf dem Acker." KZ-Häftlinge hätten die große Bombe entschärfen müssen. "Dafür bekamen die dann mal satt zu essen."
Was aus den überlebenden Besatzungsmitgliedern wurde? Gehört hat Stockmann nicht viel. Er vermutet, dass die sich über die niederländische Grenze durchgeschlagen haben. Dort hätten alliierte Piloten bei Bauern untertauchen können.
Gefallene Piloten seien nach dem Krieg exhumiert und auf britischen Friedhöfen in Mönchengladbach oder Seelze (bei Hannover) bestattet worden.
Der Absturz von Frotheim – eine von 36 Maschinen, die die Alliierten in jener Nacht bei dem Angriff verloren. Das macht eine Verlustquote von 4,5 Prozent. Eine Woche später lag diese Quote bei einem Angriff auf Nürnberg bei 14 Prozent, hat Stockmann herausgefunden. Eine britische Bomberbesatzung habe 30 Einsätze fliegen müssen. Angesichts der Quoten sei in der Theorie spätestens der 14. Einsatz der letzte gewesen. So wie für den Bordschützen Ronald Hinde, der am Abend des 23. März 1944 beim Absturz in Frotheim ums Leben kam.
lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de
|