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Bielefelder Flüchtlingsrat , 05.09.2003 :

Presseerklärung / Festnahme von Frau Sefkije Istrefi, geb. 02.02.1942, am 27.08.2003 im Ausländeramt Kreis Minden, anschließende Haftprüfung im Amtsgericht Minden und Überführung in das Abschiebegefängnis Neuss

Vorbemerkung:

Die Neue Westfälische berichtete am Donnerstag, 28.08.2003, auf der Seite Ostwestfalen-Lippe unter der Überschrift "Vor Abschiebung Polizei angegriffen" über eine Auseinandersetzung zwischen acht Angehörigen einer 61-jährigen Frau, die festgenommen worden war, und Beamten des Ausländeramtes Kreis Minden, Justizbeamten des Gerichtszentrums sowie 14 Polizisten. In einer Kurzmeldung wurde am Freitag, 29.08.2003, mitgeteilt, dass gegen die Tatbeteiligten strafrechtlich ermittelt würde.

Diese beiden Berichte basieren nach Auskunft des Autors alleine auf Aussagen der Polizei. Eine darüber hinausgehende Berichterstattung sei nicht geplant.

Am Freitag, 29.08.2003, kamen die betroffenen Familienangehörigen unangemeldet in die offene Sprechstunde des Bielefelder Flüchtlingsrats. Die drei anwesenden Mitglieder beschlossen, gemeinsam mit den Betroffenen die Ereignisse vom 27.08.2003 schriftlich festzuhalten. Dieses Protokoll wurde erstellt, um bei eventuell stattfindenden Gerichtsverhandlungen als Beweis zu dienen. Außerdem ist es Grundlage unserer Pressemitteilung.

Gesetzesänderungen gefordert

Der Bielefelder Flüchtlingsrat ist entsetzt über das harte Vorgehen der Mindener Polizei am 27.08.2003 vor dem Mindener Gerichtszentrum.

Die Festnahme der 61-jährigen Sefkije Istrefi, einer Ashkali-Frau aus Kosovo, im Ausländeramt der Kreisverwaltung Minden-Lübbeke war für Frau I. und die sie begleitende Tochter und für den Schwiegersohn, die gemeinsam für Frau I. sorgen und bei denen sie wohnt, ein Schock. Sie haben nicht damit gerechnet, dass Frau I. an diesem Tag von ihnen getrennt würde, denn einen Tag später fand vor dem Mindener Verwaltungsgericht eine Verhandlung statt, bei der über Abschiebehindernisse wegen ihres Gesundheitszustands entschieden werden sollte. Diesen Termin hätten die Beamten des Ausländeramtes abwarten können und damit hatten die Familienangehörigen und ihr Anwalt auch gerechnet. Der rechtliche Spielraum stand zur Verfügung. Außerdem waren sie davon überzeugt, dass man ihre Mutter nicht von ihren sechs in Herford lebenden Kindern und ihren 20 Enkeln trennen könnte. Sie gingen und gehen zu Recht davon aus, dass Frau I. im Kosovo als alleinstehende und kranke Frau kaum eine Überlebenschance hat. Sie hat immer im Verband ihrer Familie gelebt und ist inzwischen auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen.

Diese haben deshalb auch über Handy ihre Familie informiert, von der sieben Personen sofort zum Parkplatz des Amtsgerichts kommen konnten, wohin der Transporter des Ausländeramtes Frau Istrefi inzwischen gebracht hatte. Ihre Aufregung und ihr lautstarker Protest gegen die Inhaftnahme ihrer Mutter waren nur zu gut zu begreifen. Warum dann dieses gewaltsame Vorgehen der Polizei? Schließlich war der Transporter inzwischen auf dem Weg zum Abschiebegefängnis Neuss. So wie sich die Situation für uns darstellt, müssen wir das Verhalten der Polizei als unverhältnismäßig hart ansehen. Es gibt keine Hinweise, dass von ihrer Seite irgendwann versucht worden wäre, deeskalierend auf die Situation einzuwirken.

Frau I. musste während der Fahrt in ein Gefängniskrankenhaus eingeliefert werden. Erst am 03.09.2003 - eine Woche später - konnte sie in die Haftanstalt Neuss verlegt werden.

Dieser Vorfall macht deutlich, welche harten und unmenschlichen Vorgehensweisen ermöglicht werden durch die regiden gesetzlichen Regelungen des Ausländergesetzes und die zusätzlichen Anweisungen durch das Innenministerium des Landes NRW an die jeweiligen Ausländerämter.

Die zuständigen MitarbeiterInnen des Ausländeramtes hätten durchaus die rechtliche Möglichkeit gehabt, von der Inhaftierung und auch von der Abschiebung der Frau I. abzusehen. Sie haben anders entschieden und das Gesetz erlaubt ihnen ein solch mitleidloses Verhalten.

Die Auswirkungen der unmenschlichen Ausländerpolitik führen in diesem Fall dazu, dass es zu strafrechtlicher Verfolgung der Angehörigen der Frau Istrefi kommen wird. So werden Opfer zu Tätern gemacht.

Wer kann es denn den Töchtern von Frau I. verdenken, dass sie sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften dafür einsetzen, dass ihre Mutter ihren Lebensabend bei ihnen in Herford verbringen darf, anstatt allein und ohne Unterstützung in Kosovo leben zu müssen, einem Land, das für die Sicherheit und den Lebensunterhalt der Minderheiten nicht aufkommen kann? Die meisten ihrer hier lebenden Kinder arbeiten und haben eine Aufenthaltsgenehmigung, sie würden ohne Sozialhilfe für ihren Lebensunterhalt in Deutschland aufkommen.

Hier scheint doch grundsätzlich etwas nicht zu stimmen!

Die Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Frau Dr. Cornelia Sonntag-Wolgast, hat sich mit Schreiben vom 02.07.2003 im Namen des Ausschusses an den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz gewandt mit der Bitte, man solle "die Rückführung (der Minderheiten, d. V.) höchst behutsam ... betreiben und dem Prinzip #einFreiwilligkeit#ein absoluten ... Vorrang geben". (Dieses Schreiben bezieht sich auf die Erfahrung von Mitgliedern des Innenausschusses bei einer Delegationsreise durch Kosovo.)

Ein solcher Appell ist gut gemeint, aber nützt wenig! Es müssen endlich gesetzliche Regelungen geändert werden! Den Minderheiten aus Kosovo darf die Innenministerkonferenz in Zukunft ein Aufenthaltsrecht nicht mehr verweigern.

Die Abschiebehaft ist abzuschaffen! Seit langem in Deutschland lebende Menschen dürfen nicht länger in der Angst vor gewaltsamer Abschiebung leben! Aufenthaltsrecht statt Duldung!

Nachtrag:

Inzwischen haben die zuständigen Mitarbeiter des "Office of Returns and Communities" der UNMIK in Pristina der gewaltsamen Rückführung von Frau Istrefi die Zustimmung verweigert. Diese Zustimmung ist entsprechend dem Abkommen zwischen dem Bundesinnenminister und dem Sonderbeauftragten der UNO in Kosovo vom März 2003 unbedingte Voraussetzung für jede Abschiebung von Angehörigen der Gruppe der Ashkali.

Dennoch befindet sich Frau I. immer noch in der Haftanstalt Neuss. Die Mindener Ausländerbehörde hat einen erneuten Haftantrag über sechs Wochen gestellt und will den Innenminister von NRW veranlassen, mit dem UNMIK-Büro Kontakt aufzunehmen, um darauf hinzuwirken, dass die Verweigerung der Zustimmung zurückgenommen wird. Wir erwarten, dass durch eine einstweilige Verfügung des Rechtsanwalts die sofortige Freilassung von Frau I. durchgesetzt wird. Sie ist krank und braucht ihre Familie.


fluechtlingsrat-bi@web.de

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