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Herforder Kreisanzeiger / Neue Westfälische , 10.11.2007 :

Fasziniert und begeistert von den Rätseln der Natur / In diesem Monat wäre Professor Dr. Rolf Dircksen, der bedeutende Biologe und Naturschützer, 100 Jahre alt geworden / Symposion auf Gut Bustedt

Von Eckhard Möller und Klaus Nottmeyer-Linden

Er war Ornithologe und Wattenmeerforscher, Geograph und Schriftsteller, Jäger und Lehrer, Naturschützer und Lehrbuchautor. Generationen von Biologielehrern gingen durch seine Schule, den Naturschutz in Westfalen hat er wie kein Zweiter beflügelt: Rolf Dircksen war einer der Großen im Ravensberger Land. Heute wird er anlässlich der 100. Wiederkehr seines Geburtstag auf Gut Bustedt mit einem Symposion geehrt.

"Kennen Sie einen Professor, der seinen Studenten so viel mitgeben konnte wie Rolf Dircksen?" – Die Frage in dem Gespräch vor wenigen Wochen blieb unbeantwortet. Wer war dieser Rolf Dircksen, der in diesem Jahr am 26. November 100 Jahre alt geworden wäre?

An der Nordseeküste in der kleinen Ortschaft Wremen nicht weit von Bremerhaven wurde er geboren. Seine Vorfahren waren Bauern, die das Land direkt hinter dem Deich bewirtschafteten.

Nach seinem Abitur begann er ein Studium der Biologie und Geographie mit Mathematik als Nebenfach zuerst in Rostock, dann in Tübingen und zuletzt in Kiel. Dort machte er bei dem bekannten Professor Adolf Remane die Untersuchungen für seine Promotion, die sich mit Vögeln befasste, der Tiergruppe, die ihm besonders am Herzen lag. Er wählte die kleine unbewohnte Nordseeinsel Norderoog für Freilandbeobachtungen an Seevögeln, die dort brüteten.

Seine 1932 im "Journal für Ornithologie" veröffentlichte Doktorarbeit über die Biologie von Austernfischern, Brandseeschwalben und Küstenseeschwalben machte ihn der Wissenschaft bekannt. Er war einer der Ersten, die das Verhalten von Vögeln im Freiland unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten untersuchten.

Wie für viele andere war auch für ihn diese Zeit auf der Vogelinsel ein tief prägender Lebensabschnitt. Immer wieder zog es Rolf Dircksen zur Küste zurück, und mit zahllosen Exkursionen und von ihm geförderten Inselaufenthalten seiner Schüler und Studenten gelang es ihm, den "Vogelinsel-Virus" zu verbreiten.

Während seines Studiums lernte er die aus Kettwig an der Ruhr stammende Margarete Arendt kennen. Als Grete Dircksen war sie an seiner Seite eher die Botanikerin, während er mehr der Zoologe war.

Dr. Rolf Dircksen wählte die Laufbahn als Lehrer. Seine Referendarzeit verbrachte er in Münster; seine erste Stelle als Studienassessor bekam er an der damaligen evangelischen Höheren Mädchenschule in Enger, die ab 1930 auch Jungen aufnehmen durfte und die Klassen Sexta bis Untertertia führte. Von Ostern 1935 bis Ostern 1939 unterrichtete er dort in der Privatschule, über die der Direktor des Herforder Lyzeums die Dienstaufsicht hatte.

Es war wohl in diesen Engeraner Jahren während der Nazi-Herrschaft, dass der junge Beamte – wie so viele seiner Generation – den Entschluss fasste, in die SA einzutreten. Vielleicht wurde ihm das von Seiten der Nazi-Verwaltung nahe gelegt, wenn er – mit junger Familie - weiter als Lehrer dort unterrichten wollte. Seine genauen Beweggründe kennen wir nicht.

Von Ostern 1939 bis Januar 1940 wurde er abgeordnet an die Hochschule für Lehrerbildung in Kiel. Von dort kam er wieder für nur vier Monate zurück nach Enger, wo er stellvertretender Schulleiter der 1939 von der Stadt übernommenen "Städtischen Oberschule für Jungen" wurde, die aber gleichermaßen für Mädchen zugänglich war.

Im Mai 1940 wurde er dann Dozent an der Hochschule für Lehrerfortbildung in Lauenburg/Pommern. Dort blieb er zwei Jahre, bis die Wehrmacht, die nach dem Überfall auf die Sowjetunion ungeheure Verluste hatte, auch ihn in eine Uniform steckte. Im Mai 1942 wurde er Soldat im Infanterie-Ersatz-Bataillon 48 in Neustrelitz, er brachte es bis zum Leutnant. Am 7. März 1945 wurde er von amerikanischen Soldaten gefangen genommen. Seine Kriegsgefangenschaft verbrachte er in Frankreich; er wurde im Juni 1946 nach Enger entlassen.

Dort musste er sich einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Als "Strafarbeit" wurden ihm Restaurierungsarbeiten am Engeraner Friedhof auferlegt.

Ab Februar 1947 war Dircksen wieder an der Oberschule in Enger tätig, wo er noch im selben Jahr stellvertretender Leiter und später dann Schulleiter wurde. Er baute diese Schule zum "Progymnasium Enger" aus.

1957 begann ein völlig neuer Lebensabschnitt: Dr. Rolf Dircksen wurde mit 50 Jahren zum Professor für Didaktik der Biologie an die Pädagogische Akademie in Bielefeld berufen, wo er die Ausbildung von Volksschullehrern übernahm. Die Hochschule wurde später von der neu gegründeten Bielefelder Universität übernommen.

1973 begann offiziell der Ruhestand, aber in den Jahren danach war Dircksen immer noch oft in den Räumen "seiner" ehemaligen Abteilung zu sehen. Am 26. November 1983 ist er dann in Enger gestorben. Sein Grab und das seiner Frau Grete befinden sich auf dem Friedhof am Sieler Weg, genau gegenüber seinem ehemaligen Wohnhaus.

Die ganze Persönlichkeit von Rolf Dircksen zu erfassen, ist nicht leicht. Er war Zeit seines Lebens Jäger, hat in seiner Jugend die Jagden im Wattenmeer auf Wildgänse und Enten, sicher auch auf Seehunde erlebt. Er hat aber auch Graureiher und Greifvögel geschossen, wie das zu der Zeit üblich war.

Sogar ein Wanderfalke musste in Dircksens Heimat an der Nordsee dran glauben – er steht noch heute ausgestopft in der Sammlung der Universität in Bielefeld. Das ist aber nur ein kleiner Nebenaspekt seines Lebens.

Er war ein guter und kundiger Geograph. Nach wenigen Jahren Aufenthalt in Ostwestfalen war er bereits in der Lage, ein umfassendes Sachbuch über das Wiehen- und Wesergebirge zu schreiben, das 1939 als "Landschaftsführer des Westfälischen Heimatbundes" erschienen ist.

Der von ihm geschriebene Abschnitt in dem Heimatbuch zur Tausendjahrfeier von Enger 1948 über "Die Landschaft um Enger – Ihr Antlitz, ihr Werden und ihre Wandlung" ist eine bis heute unübertroffene Schilderung des Ravensberger Landes, ebenso sein Kapitel "Das Ravensberger Hügelland" in der 1969 erschienenen "Avifauna von Westfalen", dem Standardwerk über die Vögel des Landes.

Er konnte faszinierend, spannend und gleichzeitig wissenschaftlich exakt schreiben. Seine Bücher über Naturbeobachtungen im Wattenmeer oder beim Vogelzug erreichten Hunderttausender-Auflagen. Sein zusammen mit seiner Frau verfasstes Schulbuch, die zweibändige "Tierkunde", wird auch heute noch mancherorts im Unterricht verwendet.

Er war ein erstklassiger Ornithologe mit umfassendem Wissen. So war es nicht verwunderlich, dass seit Beginn der 1960er Jahre sein Rat immer gefragt war, als eine Arbeitsgruppe mit den Vorarbeiten zu einem großen Werk über die Vögel von Westfalen begann.

Am bedeutendsten vielleicht war Rolf Dircksens Persönlichkeit als Lehrer. Er konnte seine Schüler und Studenten begeistern, sich mit Beobachtungen in der lebenden Natur ringsum auseinanderzusetzen. Er brachte ihnen die Faszination nahe, die von Pflanzen und Tieren, ihren Lebensweisen und Rätseln und der direkten Begegnung damit ausgeht. Sichtbarer Ausdruck davon sind hunderte von Examensarbeiten, die er über fast 20 Jahre an der Pädagogischen Hochschule betreut hat. Viele davon sind erstklassige Bestandsaufnahmen der Pflanzen- oder Tierwelt eines Gebietes oder exakte Berichte über die Verteilung etwa von Vögeln in Zeit und Raum. Heute – im Zeitalter der so genannten Biodiversität – sind sie wieder von großer Aktualität, weil sie kostbares Vergleichsmaterial über oft durch menschliche Aktivitäten verursachte Veränderungen in der Flora und Fauna von Naturräumen darstellen.

Dabei haben seine Studentinnen und Studenten mit ihren Untersuchungen ganz Ostwestfalen abgedeckt. Selbstverständlich waren aber auch eine ganze Reihe von ihnen an der Nordsee, auf den Inseln oder in den Vogelschutzgebieten dort tätig. Diese Nordseearbeiten sind heute wichtiges Belegmaterial für die Forschungen in den Nationalparken dort.

Seine Veranstaltungen und Vorlesungen in der "PH", wie sie kurz und knapp genannt wurde, waren legendär und wurden oft auch von Nicht-Biologen besucht. Aus Dircksens Studentinnen und Studenten wurden dann Lehrerinnen und Lehrer, die meisten davon an den Schulen in Ostwestfalen. Vielen blieben ihr Leben lang der Natur eng verbunden, erforschten sie, beobachteten und zählten Vögel oder Schmetterlinge, untersuchten die Vorkommen von Pflanzen – und engagierten sich schon früh im Naturschutz.

Heinz Lienenbecker in Steinhagen oder Gerd Ziegler in Minden, Burkhard Kriesten in Löhne sind nur drei bekannte Namen von zahlreichen anderen. Alle sind "Dircksen-Leute", alle sind von dem Virus, den er verbreitet hat, angesteckt worden. Auch das Bustedter Biologiezentrum, in dem heute das Symposium "100 Jahre Rolf Dircksen" stattfindet, ist von "Dircksen-Leuten" aufgebaut worden. Die Stadt Enger bewahrte die Erinnerung an ihn, in dem sie ihre Hauptschule nach ihm benannte.

Rolf Dircksens beste Bücher

Seine Erlebnisse auf der Hallig Norderoog hat Rolf Dircksen gleich mit einem großen Wurf in dem Band "Die Insel der Vögel" 1938 der Öffentlichkeit vorgestellt. In unzähligen Auflagen ist es erschienen und hat in vielen Lesern die Sehnsucht nach der Küste und ihren Tieren und Pflanzen geweckt.

Das Thema Küste ließ Dircksen zeitlebens nicht los. Mit "Das Wattenmeer" legte er 1942 eine umfassende und sehr kenntnisreiche Monografie über die "Landschaft ewigen Wandels" vor, die er im Krieg und neben seinen Lehrverpflichtungen in schwierigen Zeiten fertig stellte.

Nach dem Krieg erschien 1951 "Vogelvolk auf weiter Reise", eine erste umfassende populärwissenschaftliche Darstellung des Vogelzugs. Es wurde ebenfalls ein langjähriger Bestseller.

Wenige Jahre vor seinem Tod setzte Rolf Dircksen seiner Heimat, dem Land Wursten an der Nordsee, mit "Am Meer und hinter dem Deich" ein Denkmal. Die Liste seiner Veröffentlichungen umfasst neben den 17 Buchtiteln viele Dutzend Zeitschriftenbeiträge und Aufsätze.

Bildunterschrift: Der Professor: Rolf Dircksen, geboren direkt am Nordseedeich, hatte wie kein anderer die Gabe, seine Studenten und Schüler für die Natur zu begeistern.

Bildunterschrift: Bei Wind und Wetter: Exkursionen raus in die Natur zu jeder Jahreszeit. Ehefrau Grete war immer an seiner Seite.

Bildunterschrift: Zu Hause in Siele: Der Friese Rolf Dircksen lebte seit den 1930er Jahren in Enger im Ravensberger Land.

Bildunterschrift: Begeisternder Hochschullehrer: Um 1940 entstand diese Aufnahme, die den jungen Pädagogen und Biologen Dircksen im Kreis seiner Studentinnen (und eines Studenten) zeigt.

10./11.11.2007
lok-red.herford@neue-westfaelische.de

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