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Mindener Tageblatt ,
15.03.2004 :
"Dialog setzt Sprache voraus" / Woche der Brüderlichkeit 2004: Verantwortung und Miteinander
Von Martin Steffen
Minden (mar). "Verantwortung - Ich-Du-Wir - Wanderung zwischen den Kulturen": So lautet das Thema der Woche der Brüderlichkeit 2004. Gestern Abend hielt die Schriftstellerin Lea Fleischmann dazu im großen Rathaussaal den Festvortrag.
Die (Wieder)Entdeckung der gemeinsamen Wurzeln von Christen und Juden im Buch der Bücher, der hebräischen Thora, sei nur möglich, wenn man sich die vielschichtige sprachliche Bedeutung der hebräischen Wortstruktur bewusst mache, unterstrich die Jerusalemer Autorin die Herausforderung, die der christlich-jüdische Dialog mit sich bringen kann.
Lea Fleichmann wurde 1947 in einem Lager für Holocaust- Überlebende bei Ulm geboren. In einem biographischen Vortrag umriss sie prägende Eindrücke des Aufwachsens in einem Land, in dem die Eltern "als Opfer von Nazis und Nachkriegsbürokratie" ohnmächtig und isoliert gestrandet seien. Die Tochter absolvierte ein Lehramtsstudium, arbeitete einige Jahre im Schuldienst und entschloss sich 1979 zur Auswanderung nach Israel - ohne auf das Schreiben in der deutschen Sprache zu verzichten.
Eindrücke ihrer persönlichen Wanderung zwischen den Kulturen klangen dabei immer wieder an. So empfindet die 57-Jährige trotz Terror, alltäglicher Bedrohung und Wirtschaftskrise in Jerusalem mehr Sicherheit als in der deutschen "Spaßgesellschaft". Denn diese erscheint ihr bei regelmäßigen Besuchen als unsicher, deprimiert und "ohne Gottvertrauen".
Lea Fleischmann würdigte den Überlebenswillen des jüdischen Volkes trotz aller Verfolgungen, den sie auf dieses Gottvertrauen gegründet sieht, und der sich auch auf die unveränderte religiöse Überlieferung der Thora stütze. Dass dies auch auf christlicher Seite Anerkennung finde, zeige in ihrer Geburtsstadt Ulm das Projekt "Eine Thora für Ulm", in dem Vereine, Institutionen und Privatleute eine Thora für die Synagoge finanzierten.
Ein anderes aktuelles Beispiel für Dialog und Verbundenheit hatte in seiner Begrüßung Pfarrer Dr. Heinrich Winter für die Mindener Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit genannt: er verwies auf die parteiübergreifende Resolution des Bochumer Stadtrates zur Begründung einer Synagoge in der Ruhrstadt - dafür war Samstag demonstriert worden, was Winter als Bekenntnis zum Miteinander wertete.
Als Hausherr bekannte sich Bürgermeister Reinhard Korte zum Ausbau der engen Beziehung zwischen Stadt, jüdischer Kultusgemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Die Erinnerung an die Massenverbrechen der Nazis bleibe auch dann ein Anliegen, wenn "der Schatten von Auschwitz" verblasse. Die Aufgabe bleibe bestehen, für das notwendige Erinnern eine der Zeit angemessene Form zu finden, sagte Korte.
mt@mt-online.de
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