www.hiergeblieben.de

Neue Westfälische , 17.10.2007 :

Elektroschocker hat versagt / Tödlicher SEK-Einsatz in Löhne: Staatsanwaltschaft stellt ihre Ermittlungen gegen Polizeibeamten ein

Von Hubertus Gärtner

Löhne/Bielefeld. Der Zugriff eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Bielefelder Polizei, bei dem am 2. Oktober ein psychisch kranker Mann in seiner Wohnung in Löhne getötet wurde, hat für den Schützen keine strafrechtlichen Konsequenzen. Der Polizeibeamte habe „eindeutig in Notwehr gehandelt“, sagte Staatsanwalt Dieter Heidbrede. Er stellte gestern die Ermittlungen wegen Totschlags ein.

Der missglückte Einsatz wird die Experten im Innenministerium und im Landeskriminalamt aber noch lange beschäftigen. Wie aus hochrangigen Polizeikreisen verlautet, hat in Löhne eine spezielle Elektroschockpistole, mit der der psychisch kranke Angreifer Dimitri D. (33) kampfunfähig gemacht werden sollte, wider Erwarten versagt. Erst dadurch konnte es zur tödlichen Eskalation kommen.

Wie berichtet, hatte sich der psychisch kranke Deutschrusse Dimitri D. mit einem Messer bewaffnet in seiner Wohnung verschanzt. Wegen der besonderen Gefahrenlage und der von Dimitri D. ausgehenden Selbst- und Fremdgefährdung wurde das SEK aus Bielefeld herbeigerufen.

Gegen 15.30 Uhr entschlossen sich die Spezialisten zum Zugriff. Die Wohnung wurde gestürmt, um Dimitri D. in Gewahrsam zu nehmen. SEK-Beamte drangen gewaltsam durch ein Fenster und die Tür ein. Ein Polizist schoss mit einer Elektroschockpistole, einem sogenannten Taser, auf Dimitri D.

Diese besondere Waffe, die in den USA entwickelt wurde und mit der in Nordrhein-Westfalen nur die Spezialeinsatzkommandos der Polizei ausgerüstet sind, verschießt zwei dünne Drähte mit Widerhaken und lässt auf einen Schlag bis zu 50.000 Volt in den Körper des Getroffenen fließen. Der Taser soll dem Selbstschutz der SEK-Beamten dienen und eine Zielperson etwa eine Minute lang kampfunfähig machen, so dass sie gefahrlos festgenommen werden kann.

Polizisten rätseln, ob auf ihre Waffen wirklich Verlass ist

Im konkreten Fall wurde Dimitri D. nach Informationen dieser Zeitung zweifelsfrei von einem solchen Drahtgeschoss getroffen. Er sackte zu Boden, rappelte sich aber sofort wieder auf und attackierte mit seinem Messer einen in unmittelbarer Nähe befindlichen SEK-Beamten, der ihn fesseln wollte. In dieser Situation eröffnete der Sicherungsschütze mit seiner Neun-Millimeter-Pistole das Feuer. Er schoss fünf Mal.

Normalerweise hätte bereits die erste Kugel, die laut Obduktion höchstwahrscheinlich in die Brust drang, den Angreifer außer Gefecht setzen müssen. Auch hier trat die erwartete Wirkung aber nicht ein. Der SEK-Beamte habe die Wirkung seiner einzelnen Schüsse abgewartet und sich professionell verhalten, sagte Staatsanwalt Heidbrede, der keine Einzelheiten nennen wollte. Wie berichtet, war bei dem Einsatz in Löhne auch ein SEK-Beamter von Dimitri D. durch Messerstiche in Arm und Bein schwer verletzt worden. Der Beamte wurde im Krankenhaus operiert und ist noch dienstunfähig geschrieben.

In Expertenkreisen der Polizei herrscht seit dem tödlichen Geschehen in Löhne Ungewissheit darüber, inwieweit auf die verwendeten Elektroschockpistolen Verlass ist. Möglicherweise wirkte der Taser nicht, weil Dimitri D. hochgradig aggressiv und erregt war.

Stromstöße aus sicherer Entfernung

Elektroschockpistolen schießen bis zu 50.000 Volt in den Körper und sollen einen Angreifer kampfunfähig machen. Die Innenministerkonferenz hat 2006 empfohlen, dass die Polizei-Spezialeinsatzkommandos aller Bundesländer den sogenannten Taser anschaffen. Nach einer neuen Studie wurden bei rund 1.000 Taser-Einsätzen in den USA nur drei Menschen ins Hospital eingeliefert. Ohne den Taser müsse die Polizei viel öfter zur Pistole greifen, sagen die Befürworter. Kritiker argumentieren, der Taser selbst sei ein Risiko. Er habe schon tödliche Lähmungen hervorgerufen.

Bildunterschrift: Elektroschocker im Einsatz: Theoretisch – wie auf dieser Darstellung aus den Vereinigten Staaten – bricht ein Angreifer zusammen, wenn er vom Taser getroffen wird. In der Praxis stimmt das nicht immer.


redaktion@neue-westfaelische.de

zurück