Schaumburger Zeitung ,
13.03.2004 :
40 Juden lebten und arbeiteten vor 1942 in der Weserstadt / Auch ein Zwangsarbeiter christlichen Glaubens wurde auf dem Friedhof bestattet
Hessisch Oldendorf. Von historischen Kulturlandschaftsteilen wimmelt es nur so im Landkreis Hameln-Pyrmont. Mit Hilfe von Bürgern hat die Kreisverwaltung wertvolle Landschaftsteile erfasst. Unser Mitarbeiter Alexander Tacke stellt in einer Serie eine Auswahl der historischen Spuren vor. Heute: der jüdische Friedhof in Hessisch Oldendorf.
Wie ein Teppich hat der frisch gefallene Schnee das Land bedeckt. Lokalhistoriker Bernhard Gelderblom begibt sich auf Spurensuche nach jüdischem Leben in Hessisch Oldendorf. 40 Juden lebten einst in der Langen Straße, arbeiteten als Kaufleute, Viehhändler, Schlachter, Lumpensammler und Banker in der Weserstadt. Viele emigrierten während des Nationalsozialismus, zehn von ihnen wurden 1942 deportiert. Ein Ort, der Aufschlüsse über die Geschichte der Hessisch Oldendorfer Juden gibt, ist der jüdische Friedhof aus dem Jahre 1832. Er ist von einer Mauer umgeben und liegt unterhalb des christlichen.
Beim Betreten der Ruhestätte fällt auf, dass die Grabsteine eine bestimmte Form haben und systematisch angeordnet sind. "Typisch sind die Giebel mit Höcker auf den Steinen und den ausschließlich hebräischen Inschriften, die einen Großteil der Fläche ausfüllen", erklärt Gelderblom. Abbildungen von Menschen, Grabfelder oder gar Blumenschmuck seien verboten. "Damit soll ausgedrückt werden, dass im Tod alle Menschen gleich sind", erläutert der Lokalhistoriker. "Wegen der leiblichen Auferstehung sind den Juden die Knochen heilig. Darum dürfen jüdische Friedhöfe nicht eingeebnet werden." Auch stünden auf den Grabsteinen jeweils nur die Vornamen der Toten, die nach jüdischer Tradition stets in Einzelgräbern bestattet würden, und zwar in chronologischer Reihe ihres Ablebens. "Die Grabsteine sind immer nach Osten in Richtung Jerusalem ausgerichtet, von wo aus nach jüdischem Glauben der Messias die Endzeit heraufführen wird", sagt Gelderblom, der als Gymnasiallehrer neben Geschichte und Politik auch Religion unterrichtet.
Auf dem Hessisch Oldendorfer Friedhof könne man laut Aussage des Pädagogen jene Merkmale noch sehr gut erkennen, da er im Dritten Reich nur mäßig beschädigt worden sei. "Die ältesten Grabsteine, die wir am Anfang der oberen rechten Friedhofsseite finden, entsprechen ganz der jüdischen Tradition", erklärt Gelderblom. Mit Beginn der Assimilation ab 1820 fänden sich zunehmend Nachnamen der Verstorbenen sowie Inschriften in Deutsch auf den Steinen, selbst Grabfelder und Doppelgräber kämen vor. Behutsam befreit der Lokalhistoriker einige Steine mit einer Bürste vom Schnee, und es treten vereinzelt Bilder zum Vorschein, deren Bedeutung Gelderblom kennt: "Hier kann man einen Schmetterling als Symbol für die Flüchtigkeit des Lebens sehen. Die häufig anzutreffende Kanne deutet auf Angehörige von Leviten-Familien hin: Mit dem Wasser aus der Kanne wurden die Hände des Priesters gewaschen, um dadurch kultische Reinheit herzustellen."
An der 41. und letzten Grabstelle verweilt Gelderblom etwas länger. "Hier liegt ein ukrainischer Zwangsarbeiter christlichen Glaubens, 1944 bestattet, weil man ihm die Beisetzung auf dem christlichen Friedhof verweigerte", weiß er. Vorbei an einem Familien-Doppelgrab, auf dem der Stein des deportierten Ehemannes leer geblieben ist, schweigenden Toten und schreienden Steinen, für das menschliche Ohr nur schwer hörbar, tritt Gelderblom den Heimweg an.
13./14.03.2004
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