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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische , 12.10.2007 :

Gegen Militäreinsatz in Afghanistan / Paderborner Initiative zur Bundestags-Entscheidung

Paderborn. Heute stimmen die Mitglieder des Bundestages über die Verlängerung des Militäreinsatzes in Afghanistan ab. Die Paderborner Kampagne "Kein ruhiges Hinterland – gegen Krieg, Militarisierung und globale Ungleichheit" spricht sich gegen jegliche militärische Intervention in Afghanistan aus. Die Kampagne wird getragen von den Paderborner Gruppen: Initiative gegen den Krieg, Pax Christi, Kaffeebohne/Eine-Welt-Kreis im Salesianum, freies radio paderborn (FRAP) und der Büren-Gruppe.

Die Reaktion der USA auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 war die Operation Enduring Freedom (OEF), an der sich laut Bundestagsbeschluss vom 16. November 2001 auch die Bundeswehr beteiligte. Auf Wunsch des afghanischen Präsidenten Karzai gründete der UN-Sicherheitsrat 2001 die International Security Assistance Force (ISAF) deren Aufgabe es sein soll, den Wiederaufbau Afghanistans abzusichern und die afghanische Regierung zu unterstützen. Auch hier mischt die Bundeswehr mit. 2003 wurde das ISAF-Kommando der Nato übertragen. Darüber hinaus ist die Bundeswehr mit Tornados in Afghanistan im Einsatz.

"Bevölkerung empfindet Soldaten als Besatzer"

"In der öffentlichen Diskussion wird versucht, den OEF-Einsatz und die Wiederaufbauhilfe ISAF getrennt darzustellen, um breitere Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen. Nach Ansicht von Experten sind ISAF und OEF jedoch praktisch miteinander verschmolzen. Beide führen Krieg. Die afghanische Bevölkerung empfindet Soldaten beider Operationen als Besatzung", ist Hartmut Linne, Sprecher der Initiative überzeugt.

Militärbefürworter begründen die Fortführung der Intervention damit, dass nach einem Truppenabzug das Land im Chaos versinken würde. Dr. Matin Baraki (Politikwissenschaftler aus Afghanistan) sagt dazu: "Ein Abzug der Bundeswehr würde die Situation in Afghanistan in keiner Weise verschlechtern. Sie könnte das Land sofort verlassen." Auch Peter Strutynski (Friedensratschlag) unterstützt diese Einschätzung: "Die Sicherheitslage ist katastrophal und wird sich bei Fortsetzung der militärischen Präsenz nur weiter verschlechtern." Dies habe die bisherige Entwicklung gezeigt. Mit jeder Aufstockung der internationalen Truppenstärke – heute im Rahmen von OEF und ISAF insgesamt 48.000 Soldaten – sei der Widerstand im Land gewachsen, hätten Angriffe auf Besatzungstruppen und terroristische Attentate zugenommen.

Als weiteres Argument für die Fortsetzung der militärischen Besatzung werde seitens der Politik der Schutz ziviler Aufbauprogramme genannt. "Auch hier widersprechen Experten", sagt Linne. Die meisten Hilfsorganisationen würden sich sogar den 'Schutz' der Truppen verbitten, weil sie erst durch die Nähe zum Militär ihre Arbeit gefährdet sehen. "Nach unseren Sicherheitsrichtlinien halten wir uns von Soldaten fern", so Theo Riedke, Regionalbeauftragter Welthungerhilfe. Nicht nur Afghanen, auch viele Hilfsorganisationen würden Afghanistan heute als Militärprotektorat empfinden.

"Die verbesserten Chancen von Frauen und Mädchen in Afghanistan wird als schützenswertes Gut angeführt. Die Regierung und die westlichen Medien feiern die Präsenz von 69 weiblichen Abgeordneten als Symbol des Erfolgs für Afghanistan und als Zeichen für Demokratie und Frauenrechte. Doch die Revolutionäre Frauenorganisation Afghanistans beklagt, dass die Realität anders aussehe als man glauben machen will. Sie verweist auf grauenhafte Geschichten von Selbstmord und Selbstverbrennungen im Land", betont Linne. Und fügt hinzu: "Afghanistan hat weder eine souveräne noch eine unabhängige Regierung. Die Wirtschaft des Landes ist zerstört. Der einheimischen Wirtschaft ist jegliche Chance genommen, sich zu entwickeln. Der einzige boomende Markt ist der Drogenmarkt. 2006 gab es in Afghanistan die größte jemals eingebrachte Opiumernte (6.100 Tonnen). Dies erstaunt nicht, denn die Heroinbarone sind in den Staatsapparat integriert, sie sind Mitglieder des Kabinetts; auch die Familie des Präsidenten Karzai ist an Drogengeschäften beteiligt." Matin Baraki meint: "Nicht die Taliban sind das eigentliche Problem Afghanistans – das ist vielmehr der Status eines besetzten Landes. So lange der besteht, wird es keine Ruhe und keinen Frieden geben."


lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de

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