www.hiergeblieben.de

Lippische Landes-Zeitung , 13.01.1993 :

Junge Türkin ließ sich älter machen, um nicht zur Schule zu müssen - Nun droht Abschiebung / Geänderter Geburtstag hatte fatale Folgen

Von Dieter Asbrock

Kreis Lippe. Untergetaucht aus Angst vor Abschiebung ist die junge Türkin Sengül Ünal aus Bad Salzuflen. Ein falsches Geburtsdatum, amtlich in der Türkei in ihren Ausweis eingetragen, um der Schulpflicht in Deutschland zu entgehen, bewirkte, dass sie plötzlich ohne Aufenthaltsgenehmigung dastand. Ihr Anwalt und ihre Eltern bemühen sich, die Sache zum Guten zu wenden - bislang ohne Erfolg.

Angefangen hatte alles im September 1990, als die damals 13-jährige Sengül Ünal auf dem Gelände der Lohfelder Schule in Bad Salzuflen von einem Unbekannten überfallen und verletzt wurde - eine von ihr vorgetäuschte Tat, wie es hinterher hieß. Auch war sie in dieser Zeit zweimal in kurzen Abständen für einige Tage verschwunden. Nach Angaben von Kemal und Fatma Ünal, ihren Eltern, wurde sie entführt, die Täter allerdings konnte die Polizei nicht ausfindig machen.

Sengül Ünal habe daraufhin nicht mehr zur Schule gehen wollen, so die Eltern. Vater Kemal ließ in der Türkei das Geburtsdatum amtlich ändern und so seine Tochter zwei Jahre älter machen, damit sie nicht mehr der deutschen Schulpflicht unterliegt. Damit handelte er sich jedoch neue Probleme ein: Tochter Sengül brauchte ab sofort ein Visum für die Bundesrepublik. Zwei Gerichtsinstanzen wurden erfolglos bemüht. "Hier sind die sozialen Gesichtspunkte nicht genügend berücksichtigt worden", kritisierte Ali Isik, Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Herford, der sich des Falles angenommen hat.

Doch ohne Aufenthaltsgenehmigung droht üblicherweise die Abschiebung. Die nun amtlich 18-jährige Sengül ist daraufhin untergetaucht. Sie hat Selbstmordabsichten geäußert, sollte sie ausgewiesen werden, so Isik und die Eltern Ünal. Sie habe weder Verwandte noch Freunde in der Türkei, eine Abschiebung komme praktisch einem Todesurteil gleich.

Ali Isik kritisierte das Verhalten der lippischen Kreisverwaltung, die die Aufenthaltsgenehmigung verweigerte. Als schikanös habe das Ehepaar Ünal empfunden, dass man ihnen vergangene Woche zeitweilig ihre Pässe abgenommen habe. Sie vermuten, man habe sie zur Preisgabe des Aufenthaltsortes ihrer Tochter bewegen wollen.

Die Passkontrolle sei üblich und durchaus korrekt gewesen, so die Ausländerabteilung des Kreises Lippe. Ihr Leiter Dieter Niemeyer verweist darauf, dass die Eltern wohl die Tragweite der Geburtsdatum-Änderung nicht überblickt hätten: "Hätte man alles so gelassen, wäre die Tochter jetzt aus dem Schneider", so Niemeyer, dem die Gründe für die Datumsänderung unklar sind. Sengül Ünal müsse nun von der Türkei aus die Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Da sie jetzt mit geändertem Geburtsdatum 18 Jahre alt sei, komme der Familiennachzug aber nicht mehr in Frage. Somit unterliege sie dem Anwerbestopp, ob man über die Hintertür "zweite Generation" etwas machen könne, sei unbestimmt.

Petition an den NRW-Landtag

Auch der Rechtsanwalt, der Sengül Ünal vertritt, wird nach eigenem Bekunden aus den Vorfällen vom Herbst 1990 nicht ganz schlau. Die Sache sei zwar etwas unglücklich gelaufen, dennoch habe der Kreis Lippe mehr tun können: "Da ist nie eine definitive Zusage gekommen, auf Antrag die Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen", monierte er.

Das Ehepaar Ünal will auf alle Fälle den Verbleib ihres Kindes in Deutschland durchsetzen. "Wir leben seit 1972 in Deutschland und wollen ebensowenig wie unsere Tochter in die Türkei zurück", betonten sie gegenüber der LZ. Ali Isik ist das Verhalten der Behörden unverständlich: "Auf der einen Seite gehen die Leute auf die Straße, veranstalten Mahnwachen und Lichterketten, um uns zu schützen, und dann passiert sowas."

Der Rechtsanwalt glaubt nicht, dass Sengül das Land verlassen muss. Er hofft mit Kemal und Fatma Ünal auf Hilfe aus Düsseldorf: Dem Petitionsausschuss des Landtages ist der Fallmittlerweile vorgetragen worden. "Aus humanitären Gründen lässt sich da bestimmt etwas machen", glaubt der Jurist.


Detmold@lz-online.de

zurück