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www.hiergeblieben.de , 08.03.2004 :

"Denk ich an Deutschland in der Nacht" (H.Heine)

Zur OWL-Mobilisierung für die Demonstration am 13. März "Wiederaufbau der Synagoge unterstützen - Neonazi-Aufmarsch verhindern" dokumentieren wir einen Text von Bochumer Antifas.



Antifa "Die kleinen Strolche", 08.03.2004:

"Denk ich an Deutschland in der Nacht" (H.Heine)

Ein in der Geschichte der Bundesrepublik Neues, aber gleichzeitig bedrohlich Altes, spielt sich zur Zeit in Nordrhein Westfalen, dem bevölkerungsstärksten Bundesland Deutschlands ab. Erstmals seit 1945 wird offen für nazistische und antisemitische Demonstrationen gegen die jüdische Gemeinschaft in Deutschland mobilisiert. Die nazistischen “Freien Kameradschaften” und die NPD, jener Partei, die nach dem desaströsen und diletantischen Verbotsantrag der Schröderadministration, stärker denn je ist, haben für den 13. und 20. März dieses Jahres Märsche gegen einen Synagogenneubau in Bochum angemeldet.

Seit der Niederlage des NS-Systems durch die Alleierten verstand sich der deutsche Antisemitismus auf zwei Spielarten. Der, der bei den Konserativen geduldet und an manchen Orten auch gern gesehen war. In Artikeln und Feullitons, öffentlichen Ansprachen und Reden.

Der aggressive, brutale Antisemitismus mit Sprayereien, Grabschändungen und persönlichen Attacken blieb der wachsenden NS-Scene vorbehalten. Dieser gipfelte im letzten Jahr in dem vereitelten Sprengstoffanschlag anläßlich der Grundsteinlegung einer neuen Synagoge in München. Protagonisten dieses, auch Menschenopfer einkalkulierenden Planes, waren Nazis der “Kameradschaft Süd”, die zum Verbund der Freien Kameradschaften gehört, der auch jetzt gegen den Neubau der Synagoge in Bochum andemonstrieren will.

Was zur Zeit aber in Bochum, einer von Arbeitslosigkeit und sozialen Kahlschlag betroffenen Industriestadt, stattfindet, schlägt ein neues Kapitel auf. Ein Kapitel, das jedem Beobachter Deutschlands erschrocken die Augen reiben läßt und ein flaues Gefühl hinterläßt. Hier wird ganz offen in alter SA-Retorik und Manier gegen die jüdische Gemeinschaft Front gemacht. Eine pure Provokation und öffentliche Volksverhetzung ersten Ranges.

Wer dabei denkt, hier würde NS-nostalgisch und hitleristisch argumentiert, liegt falsch. Geschickt die sozialen Probleme und Perspektivlosigkeit der Menschen der Region aufgreifend wird im nationalrevolutionärem Stil gehetzt. Die Manifestationen stehen unter dem Titel: “Stoppt den Synagogenbau. 4 Millionen Euro fürs Volk” und es ist vom “jüdischen Prunkbau auf Kosten des deutschen
Steuerzahlers” die Rede.

Wer nun meint,in Deutschland wären die republikanisch, demokratischen Verhältnisse gefestigt, dass ein derartig öffentlich angekündigter Bruch mit der antifaschistischen Verfassung und dem Strafgesetzbuch ein eindeutiges Verhalten der Behörden hervorruft, sieht sich getäuscht. Ein Verbot des örtlichen Polizeipräsidenten nahm die nächsthöhere Entscheidungsinstanz, das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht, auf Antrag der Nazis, zurück. Erst auf Landesebene durch das Oberverwaltungsgericht Münster wurden die Manifestationen wieder verboten. Nun liegen sie per Eilantrag dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhre vor. Die Entscheidung steht für den Dienstag den 9. März an.

Während auf den Gerichtsfluren ein juristisches Gezerre erfolgt, wird auf Bochums Straßen, vorwiegend am Wochenenden, geschlagen und getreten. Laut der NPD-3 Säulen Doktrie, dem Kampf um die Köpfe der Menschen, um die Parlamente und auf der Straße, wird der Letztgenannte unter den fürsorglichen Augen der Polizei ausgeführt. Jeder darf halt ein bischen. Die Nazis dürfen beschützt durch die Ordnungskräfte hetzen. Die Antifaschisten ein bischen dagegen protestieren. Sind die Antifaschisten mal zu zahlreich, dann werden die Nazis aus der Stadt geleitet und dürfen dann unter Aufsicht weitermachen, wenn die
Gegenseite sich wieder aus der Innenstadt entfernt hat. Dass der ein oder andere Polizist bei faschistischen Schlageinsatz mal gerne wegschaut, ist die zusätzliche, aber nicht neue, Erfahrung der AntifaschistInnen. Wer sich jetzt unter den Antifaschisten nun rabiate junge Männer vorstellt, liegt auch wieder falsch.

Hier finden sich verschüchterte Teenager und grauhaarige Altlinke. Durchtrainierte, grimmige Gestalten sind auf der Gegenseite anzutreffen. Junge Männer, und kaum einer davon ein Skinhead, die unter der Woche auch mal versuchen mit Gewalt antifaschistische Veranstaltungen zu stören, in denen Gegendemonstrationen zu ihren Aufmärschen in Bochum organisiert werden. Der Organisator der antifaschistischen Gegenkundgebungen vom 13. Und 20. März ließ mittlerweile von der Polizei telefonische Fangschaltungen legen. Die Morddrohungen gegen ihn nahmen überhand. Die extra für ihre Aufmärsche installierte Internet-Seite der Nazis (www. gegenoffensive2004.de) hatte ihn mit seiner vollen Anschrift benannt. Wie die Nazis mit den Bochumer JüdInnen gedenken zu verfahren, durfte der Bochumer Rabbiner Ende Februar erfahren. Er fand sein Auto morgens demoliert und mit Hakenkreuzen verunziert vor.

Langsam dämmert auch den Stadtoberen, was auf sie zukommt, käme es zu den antisemitischen Manifestationen. Erst vor kurzem lief ihr die Nachbarstadt Essen den Rang als Kulturhauptstadt ab. Und jetzt dieser drohende Makel. Aber die Stadtoberen stehen auch vor einem Problem. Es besteht Bedarf an BürgerInnen die Protest und demokratisches Profil zeigen. Nun ist es aber vor allem die marginalisierte linke Scene, die sich bewegt. Die antifaschistischen Teenager, die die Polizei seit Jahren bedrängt und die die Bochumer Staatsanwaltschaft unter den krusesten Vorhaltungen verfolgt. So werden in den Stadtzeitungen, die seit Jahren die steigenden faschistischen Vorfälle beschweigen,
diejenigen zum Staatsbürger und deren Demotermine nun abgedruckt, die sie in der Vergangenheit so oft verleumdeten.

Vorsorglich hat das offizielle Bochum noch einen anderen Event eingerichtet. Nach dem Naziaufmarsch und weit weg von ihm treffen sich die Honoratoren der Stadt und des öffentlichen Lebens am Platz der zukünftigen Synagoge, um ihren Abscheu und ihren Protest den Medien zu demonstrieren. Ein Schulterschluß mit linken Elementen? Nein Danke.

Und diese? Sie sind schon von vorhienein bemüht, den zivilen Ungehorsam zu betonen. Wohlgemerkt den "gewaltfreien". Damit sie nicht in den Verdacht geraten, über die symbolische Grenze hinaus zu irgendeiner Art des Widerstands zu mobilisieren. Zwar lassen sie sich ihre Veranstaltungen von der letzten Handvoll, einer auch in Bochum in den 80zigern existenten autonomen Scene, beschützen. Aber ein Schulterschluss mit den "üblichen Verdächtigen"? Nein Danke.

Und die Widerständigen? Jener Rest, bestehend aus ergrauten 40zig jährigen und nostalgisierenden Jugendlichen? Sie, empörte Jugendliche und MigrantInnen werden ein Fall für das Großaufgebot der Polizei werden. Wie immer, in den letzen Jahren.

Der Entscheid des BVGs wird am 9. März getroffen. Wird er zu Gunsten der Nazis getroffen und wird es zu deren Aufmarsch kommen, wird es unzählige Nachfolgeaktionen in der ganzen BRD geben. Und alle werden sich auf diesen Entscheid des BVGs berufen.

Wie auch das BVG entscheidet. Schon die Dreistigkeit und das polizeilich abgesicherte Vorgehen der Nazis, lässt für die Sicherheit jüdischen Lebens in der BRD Übles erahnen.

Was die nationalrevolutionären Parolen der Nazis angeht. So sind diese keine zeitlich befristete Spielart. Diese Politik ist ihr Programm. Linke, Gewerkschaftler und Globalisierungskritiker haben all zu gerne in den letzten Jahren den antiquierten Antifaschismus der 70ziger und 80ziger Jahre praktiziert. Zu der Zeit, als autoritäre Zukunftsentwürfe eher auf Skepsis in der Bevölkerung stießen, die Verteilungskämpfe weniger existenziell waren und Sozialismus als alternative Lebensentwurf zum Kapitalismus noch denkbar war. Damals hieß es, die agilen Nazis zu marginalisieren. Heute stehen die Linken mit ihren Ideen marginalisiert da. Nicht mehr die Rechte. Und die Klientel der Linken droht da zu lande, wo sie in Deutschland schon einmal landete. Und mit ihr auch ein Teil der Linken.

Aber noch ist Zeit zu handeln. Auf das nicht noch einmal Heinrich Heine "Denk ich an Deutschland in der Nacht" anzustimmen ist.

Wen die Entwicklung in Bochum interessiert, der gehe auf:

www.bo-alternativ.de


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