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Lippische Landes-Zeitung , 06.03.2004 :

Vom Flug mit gebrochenen Flügeln / Saliha Scheinhardt über die "Lebensstürme"

Von Joachim Schwabedissen

Detmold. "Ich fliege mit gebrochenen Flügeln" - "mit geflicktem Herz", so das Bekenntnis von Saliha Scheinhardt beim Lesen ihres autobiografischen Romans "Lebensstürme", den sie selbst als "harte Literatur" kennzeichnet. Der türkische Vorname und der deutsche Nachname deuten auf die Welten, zwischen denen die Schriftstellerin unterwegs ist.

Mit 17 verlässt sie ihre anatolische Heimat mit einem deutschen Mann, lebt in Bremen als Kellnerin und Fabrikarbeiterin, studiert und promoviert und lebt nun als freie Schriftstellerin, ein Mensch mit vielen Freunden, aber ohne Heimat. "Einsam wie ein Distelbusch in der Steppe" ist sie in der Jugend, aus einer fatalistischen und fundamentalistischen Welt bricht sie auf, sucht die Freiheit, findet sie unter schweren Opfern.

Das alles erzählt Saliha mit wachem Verstand, vor allem aber mit einer überzeigenden Emotionalität, die abseits aller Sentimentalität den Hörer in den Bann zieht; so kann eben nur eine Frau schreiben. Man begreift ihren Schmerz, wenn sie das fanatische Pogrom an ihren Gesinnungsfreunden in Sivas, mitten in Anatolien, beschwört: 37 Menschen verbrennen, auch Kinder in ihren Festkleidern, denn ein Fest der Verständigung war es, das in ein Massaker verwandelt wurde; und dann auch ihre Verstörtheit, wenn sie kurz danach die Anschläge von Mölln und Solingen erlebt: immer wieder unschuldige Menschen, die dem Mob als Brandfackeln dienen. Verständlich auch, dass aus diesen Erfahrungen eine tiefe Skepsis an den Glauben erwächst und ein dringender Appell an eine aufgeklärte Humanität.

Die Diskussion im dicht besetzten Vortragssaal der Volkshochschule dreht sich vor allem um aktuelle politische Probleme: Soll die Türkei Mitglied der europäischen Gemeinschaft werden? Leidenschaftlich plädierte die Schriftstellerin dafür, nicht aus Gründen politischer oder ökonomischer Taktik, sondern um den Menschen, vor allem den Frauen in der Türkei eine Chance zu geben, ihr Leben frei und selbstbestimmt zu gestalten. Für alle Zuhörer anspornend, wie Saliha Scheinhardt aus schmerzlichen Erfahrungen immer wieder Mut und Zuversicht für eine bessere Zukunft der Menschen schöpft: Ihre gebrochenen Flügel tragen dennoch, ihr geflicktes Herz schlägt für eine neue Generation.

06./07.03.2004
Detmold@lz-online.de

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