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Lippische Landes-Zeitung , 06.03.2004 :

Würdevolle Form des Gedenkens / "Keine Opfer ohne Täter", LZ vom 27. Februar

Der Kulturausschuss der Stadt Horn-Bad Meinberg hat beschlossen, die städtische Bücherei nach einem Opfer der NS-Verfolgungen zu benennen, nämlich Julie Hirschfeld, einer in der Pogromnacht 1938 ums Leben gekommenen Jüdin aus Horn. Nun wirft die Arbeitsgemeinschaft Fossoli dem Ausschuss vor, sich damit der Verantwortung für den "Fall Titho" zu entziehen. Die AG hatte vor zwei Jahren einen Antrag gestellt, eine Straße nach einem aus dem Lager Fossoli nach Auschwitz deportierten Kind, Richard Silberstein, zu benennen. Lagerleiter war der erst kürzlich verstorbene Karl Friedrich Titho aus Horn.

Dem vom Kulturausschuss beauftragten Arbeitskreis, dem Vertreter von Parteien, Kirchen und Vereinen angehörten, ging es darum, jenseits aktueller Kontroversen für Horn-Bad Meinberg eine sinn- und würdevolle Form des Gedenkens an die Opfer der NS-Zeit zu finden. Ein Straßenschild, darüber waren wir uns schnell einig, nützt dabei gar nichts. Daher kamen wir zu der Überlegung, die städtische Bücherei nach einem Opfer zu benennen. Die Bücherei ist ein öffentlicher Ort, der gerade auch von Kindern und Jugendlichen gern benutzt wird, und ist zugleich prädestiniert dafür, Informationen bereitzustellen - gerade auch zu einem solch vielschichtigen Thema wie der Frage nach gemeinschaftlicher und individueller Verantwortung für die Verbrechen der NS-Zeit, in Horn-Bad Meinberg wie in Fossoli und Auschwitz.

Wir haben ernsthaft darüber nachgedacht, der Bücherei den Namen "Richard Silberstein" zu geben. Doch uns kamen ebenso ernste Bedenken: Instrumentalisieren wir nicht damit den Namen eines Kindes für ein indirektes Täter-"Gedenken"? Kann man überhaupt auf gleiche Weise an Täter erinnern, wie man der Opfer gedenken kann? Weil wir diese Zweifel nicht ausräumen konnten, haben wir uns bewusst dazu entschlossen, ein Opfer aus Horn-Bad Meinberg durch die Namensgebung stellvertretend für alle zu würdigen und den Ort der Erinnerung damit nicht auf die Auseinandersetzung mit einem einzelnen Mitverantwortlichen zu reduzieren.

Es ist abwegig, zu behaupten, der Fall Titho und die Frage nach den Tätern insgesamt würden damit "verschwiegen". Mehrere Schulprojekte zum Thema Fossoli, etwa das der Medien-AG des Gymnasiums, beweisen das Gegenteil. Ich bin sehr froh, dass es dem Arbeitskreis gelungen ist, ein Einvernehmen der Kommunalpolitik darüber zu erzielen, dass Horn-Bad Meinberg einen Ort des Gedenkens und der inhaltlichen Auseinandersetzung benötigt und nun auch erhält. Immerhin: Diesen Prozess mit angestoßen zu haben, ist auch das Verdienst der AG Fossoli.

Roland Linde
Pfuhlstraße 10
Horn-Bad Meinberg

06./07.03.2004
Detmold@lz-online.de

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