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Lippische Landes-Zeitung , 06.09.2007 :

Als die Briten bei Talle den Rückzug antraten / 1987 sollte im Bergdorf ein Munitionsdepot gebaut werden - 400 Menschen feierten heute vor 20 Jahren ihren Triumph

Kalletal-Talle (bas). Die Räder der Geschichte drehen sich schnell. Bei allen Sorgen über Terroranschläge oder den Klimawandel ist ein Begriff bereits in weite Ferne gerückt: "Kalter Krieg". Doch jetzt gerät die Zeit, in der die Atombomben der Weltmächte wie ein Damoklesschwert über der Menschheit hingen, wieder in den Fokus - im kleinen Rahmen. Die Taller wollen den Umstand feiern, dass vor 20 Jahren der Bau eines Munitionsdepots verhindert werden konnte.

Die Nachricht schlug im Bergdorf ein wie eine Bombe - im übertragenen Sinne des Wortes. Nach und nach kamen damals die Pläne der britischen Rheinarmee ans Tageslicht. Um im Kriegsfall eine bessere Versorgung der Soldaten gewährleisten zu können, sollte in Talle ein neues Munitionsdepot entstehen. Die Rede war von einer rund 2,3 Hektar großen Fläche an der Grenze zum Lemgoer Stadtgebiet. Bis zu 75 Tonnen Munition sollten nach dem Willen der Briten in den Betonbunkern Platz finden.

Doch die Verantwortlichen hatte ihre Pläne ohne den Widerstand der Bevölkerung gemacht. "Ich kann mich noch genau erinnern. Für uns waren die Monate ein echter Marathon - äußerst intensiv. Ich weiß nicht, wie viele Nächte wir durchgearbeitet haben", sagt Tina Grysczyk. Die heute 60-Jährige war aktiv an der Bürgerbewegung "Kein Munitionsdepot in Talle" beteiligt, die sich in Windeseile aus einigen Kalletalern und Lemgoern rekrutiert hatte.

Protestaktion wurde zur Freudenfeier

Brigitte Tamm, Dietmar Kuhfuß, Jürgen und Werner Prüßner, Jochen Storbeck, Rosemarie Bickley, Hella und Helmut Vetter - je länger Tina Grysczyk nachdenkt, desto umfangreicher wird die Liste der Mitstreiter. Sie alle einte ein Ziel: die Pläne der Armee zu durchkreuzen. "Bei Hameln, wo ich herstamme, gab es auch so ein Depot in der Nähe. Das war der Wahnsinn - große Bunker, Zäune und eine ständige Beleuchtung", erinnert sich Grysczyk. Und diesen Anblick konnte sie sich knapp 400 Meter von ihrem Haus entfernt kaum vorstellen.

"Da oben herrscht so eine Idylle. Es war für uns alle nicht einsehbar, dass das nötig war und die Landschaft zubetoniert werden sollte. Selbst eine eigene Zufahrt mitten durch den Wald hatten sie geplant." Hinzu kam das ungute Gefühl, neben einem Haufen Munition zu leben. Ganz zu schweigen von möglichen Angriffen im Ernstfall. Alles in allem war das der Bürgerinitiative Ansporn genug für viele Aktionen und nicht nachlassendes Engagement. Während zahlreicher Infoveranstaltungen in den Städten wurde die lippische Bevölkerung sensibilisiert. Wohl auch aufgrund der wachsenden Öffentlichkeit positionierten sich immer mehr Politiker vom Rat bis zum Bundestag gegen das Projekt.

Gedenkveranstaltung für 3. Oktober geplant

So wurde schließlich der 6. September 1987 zum großen Tag des Triumphs. Kurz zuvor hatten die Briten verkündet, ihre Pläne aufgeben zu wollen. "Die große Protestveranstaltung, die sowieso für diesen Tag mit Sternmärschen aus Kirchheide, Matorf, Bredaerbruch, Bavenhausen, Lüerdissen, Hohenhausen, Westorf und Talle vorgesehen war, konnte in eine Freudenfeier umgestaltet werden", betont Alois Gassner, Geschäftsführer der Dorfgemeinschaft Talle.
Knapp 400 Menschen kamen damals an den Ort des geplanten Munitionsdepots, wo die Bürgerinitiative für ihre größte Veranstaltung auch eine Jazzband organisiert hatte. Immerhin war dieses Ereignis auch dem Fernsehen einen Besuch im Bergdorf wert. Alois Gassner hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, eine Gedenkveranstaltung zu organisieren. Passenderweise am Tag der deutschen Einheit, also Mittwoch, 3. Oktober, soll zum Gedenkstein am Steinhaufen gewandert werden, der damals die Aufschrift bekam: "Lasst die Erde leben".

Er bittet alle Akteure von damals und jeden, der sich für das Thema interessiert, an der Vorbereitung mitzuwirken. Für Montag, 10. September, ist ab 20 Uhr ein erstes Treffen im Gasthaus "Alter Krug" angesetzt. Die Koordination übernimmt Tina Grysczyk, (05266) 756.

Bildunterschrift: Massenauflauf: Brigitte Tamm, Tina Grysczyk und Frank Terbuyken (von rechts) während der Veranstaltung am 6. September 1987, zu der rund 400 Menschen im Bergdorf erschienen waren.

Bildunterschrift: Ein Schild im Kornfeld:Werner Prüßner (links) und Hans-Jürgen Grysczyk vor einem der vielen Plakate, die von der Bürgerinitiative 1987 überall in der Region aufgestellt worden waren.


lemgo@lz-online.de

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