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Lippische Landes-Zeitung ,
02.03.2004 :
Lebenslange Vergewaltigung / Lesung über Zwangsehen in der Volkshochschule
Detmold (dm). "Zwangsverheiratung ist eine Vergewaltigung auf Lebensdauer", sagt Serap Cileli. Die gebürtige Türkin erzählte in der Volkshochschule Detmold vom Schicksal eines jungen Mädchens, das mit 12 Jahren in Deutschland zum ersten Mal zwangsverlobt wird. Mit 13 Jahren will sich das Kind das Leben nehmen. Zwei Jahre später wird es in der Türkei dennoch zur Heirat mit einem Fremden gezwungen. Das besonders ergreifende an dieser Geschichte: Es ist Serap Cilelis eigenes Schicksal. Ihre Erfahrungen hat Cileli in dem Buch "Wir sind Eure Töchter, nicht Eure Ehre" niedergeschrieben.
Fassungsloses Schweigen macht sich mehrfach im Vorlesungssaal der Volkshochschule (VHS) Detmold breit, als die Zuhörer vom Los so vieler türkischstämmiger Frauen erfahren die, auch in der Bundesrepublik zur Heirat mit Landsleuten gezwungen werden. "Man glaubt, so etwas passiert vielleicht in Ostanatolien, aber nicht in unserer Nachbarschaft", bemerkt Dr. Birgit Meyer-Ehlert, Leiterin der VHS Detmold den Gästen zur Begrüßung. Dass dies ein gewaltiger Irrtum ist, macht Serap Cileli deutlich. Im Jahr 2002 flüchteten allein in Berlin mehr als 230 Frauen in Hilfseinrichtungen, um der Zwangseheschließung zu entgehen.
Frauen, die sich der Ehe verweigern, droht ein schlimmes Schicksal. Ein Verstoß gegen die islamisch-fundamentalisrischen Moralvorstellungen, welche den Frauen Unterwürfigkeit und Keuschheit vorschreiben, kann mit "Ehrenmord" bestraft werden: "Das Leben vieler muslimischer Mädchen ist abhängig von einem roten Blutfleck auf einem weißen Bettlaken", weiß Cileli, die im Alter von acht Jahren zum ersten Mal nach Deutschland kam. "Bist du verrückt, was ist, wenn das Jungfernhäutchen reißt", habe auch ihre Mutter den Vater gefragt, als er seine Tochter mal wieder mit einem Stuhl verprügelte, um ihren Gehorsam zu erzwingen.
Die Autorin nimmt auch zum gegenwärtig geführten "Kopftuchstreit" Stellung. In Deutschland werde die Debatte ausschließlich aus der Perspektive von Frauen betrachtet, die das Kopftuch freiwillig trügen: "Wird im Namen der Toleranz schleichend die Scharia eingeführt? Das macht mir Angst." Häufig sei das Kopftuch ein "moralisches Korsett", eine offene Absage an die westliche Gesellschaft mit ihren Wertvorstellungen und ein Zeichen anwachsenden Fundamentalismus.
Doch Cileli will nicht nur warnen, sondern auch Mut machen, aus dem Teufelskreis familiären und religiösen Zwanges auszubrechen. Sie sei nicht immer ein Vorbild gewesen: "Bis ich 26 wurde waren meine Ängste größer als mein Wunsch nach Freiheit." Zu diesem Zeitpunkt soll sie ein weiteres Mal zwangsverheiratet werden. Doch jetzt gelingt der Ausbruch aus der Hoffnungslosigkeit, die sie als Mädchen noch in den Suizidversuch getrieben hat. Mit ihren Kindern aus erster Ehe flüchtet sie in einer Nacht und Nebel-Aktion ins Frauenhaus.
Ihre Freiheit hat sich die heute 38-Jährige bitter erkauft. Ihre Familie hat sie verstoßen und jeglichen Kontakt abgebrochen. Sie darf weder ihren Mädchennamen nennen, noch durfte sie an der Beerdigung teilnehmen, als ihr Vater 2001 verstarb.
Heute ist Cileli eine entschlossene Kämpferin für die Rechte muslimischer Frauen. Sie freut sich über öffentliche Aktionen von "Terre de femmes" gegen die Zwangseheschließung und fordert für Deutschland härtere Gesetze. Zwar sei hierzulande ebenso wie in der Türkei die Zwangsehe verboten, stünde aber nicht unter Strafe. Gleichzeitig betreut Cileli Opfer und hilft ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Betroffene können Informationen im Internet finden: www.serap-cileli.de
Detmold@lz-online.de
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