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Neue Osnabrücker Zeitung , 27.05.2003 :

Mit "Kampfgeschrei" auf Polizisten

Osnabrück (rll). Sie gilt als die "Mutter Courage der autonomen Szene": Die Krankengymnastin Hildegard Winkler (38) stand gestern vor dem Amtsgericht, weil sie Widerstand gegen die Polizei geleistet hatte. Im März 2002 bei einem Info-Stand der NPD, im November bei einer Sitzung des Jugendhilfeausschusses im Rathaus. Das Urteil: 60 Tagessätze á 20 Euro.

Mehr als 50 Sympathisanten drängten sich vor dem Amtsgericht. Hineingelassen wurden etwa 30, weil nur so viele Stühle in den Saal passten. Drinnen und draußen zeigte die Polizei Präsenz, wegen der umfangreichen Personenkontrollen konnte die Verhandlung erst mit einer halben Stunde Verspätung beginnen.

Gewalttätigkeiten gegenüber Polizisten, Landfriedensbruch und grobe Störungen warf der Staatsanwalt der Angeklagten vor. Am 23. März 2002 hatte die Stadt Osnabrück der NPD erlaubt, in der Fußgängerzone über ihre politischen Ziele zu informieren. Als rund 50 linke Demonstranten den Info-Stand der Rechtsextremen stürmen wollten, sahen sie sich einer Polizeikette gegenüber. Nach den Zeugenaussagen war es die Angeklagte, die sich mit "Kampfgeschrei" auf die Polizisten stürmte, um die Kette zu durchbrechen. Drei Beamte hatten Mühe, ihr die Handschellen anzulegen.

Widerspenstig gegenüber der Staatsgewalt soll sie sich auch verhalten haben, als ihr autonomes Clübchen am 7. November 2002 mit Transparenten im Rathaus auftauchte. Dort wollte sich der Jugendhilfeausschuss mit der Forderung nach einem "Autonomen Zentrum" befassen. Am Rande dieses Geschehens habe sie einen Polizisten getreten und in die Hand gebissen, lautete ein weiterer Anklagepunkt. Doch die Angaben der als Zeugen geladenen Beamten wiesen Widersprüche auf.

Hildegard Winkler, die als Vorsitzende des Vereins Avanti ein Aushängeschild der Osnabrücker Antifa-Szene ist und mit Namen in der Zeitung genannt werden möchte, nutzte ihren gestrigen Prozess als Forum für ihre Politik. Auf die Vorwürfe des Staatsanwalts ging sie nur am Rande ein. Statt dessen verlas sie eine auf drei Seiten getippte Erklärung, in der sie ihre Beweggründe für den Kampf gegen "Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Ausländerfeindlichkeit" darlegte. Dabei berief sie sich auf den von der Bundesrepublik proklamierten "Aufstand der Anständigen" gegen den Rechtsextremismus, warf den Behörden aber vor, sie bagatellisierten die Gefahr.

Dem Staatsanwalt und der Richterin signalisierte die Angeklagte, dass sie ihr keine Brücken zu bauen brauchten: "Von meiner antifaschistischen Grundeinstellung und von meiner Politik werden mich keine Paragraphen abhalten können."

Väterlich-versöhnlich hielt der Staatsanwalt dagegen und appellierte an die Antifa-Kämpferin, sie möge doch darauf vertrauen, dass auch der Staat gegen Nazis einschreite. Vor Gericht stehe die Angeklagte nicht wegen ihrer Ziele, sondern weil sie diese mit Gewalt durchsetzen wolle. Wenn es in der Fußgängerzone zum Straßenkampf komme, sei nun einmal die öffentliche Sicherheit gefährdet.

"Nachvollziehbare Ziele" wurden Hildegard Winkler auch von der Richterin bescheinigt. Mit ihrer Gewaltanwendung sei sie jedoch übers Ziel hinausgeschossen. Beim Schuldspruch wurde das niedrige Einkommen der Angeklagten berücksichtigt. Die Gesamtstrafe von insgesamt 1.200 Euro kann in zwölf monatlichen Raten abgestottert werden.


f.wiebrock@neue-oz.de

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