Bericht zum Prozess gegen den Neonazi Marcus Winter wegen Volksverhetzung ,
12.07.2007 :
"Schau auf unsere Seite, was ich alles Tolles geschrieben habe ... "
Am 10. Juli 2007 begann vor dem Landgericht Bückeburg das Berufungsverfahren gegen Marcus Winter aus Minden - Ns 305 Js 825/07 (52/07).
Am 19. März 2007 wurde der mehrfach vorbestrafte Kopf der "Nationalen Offensive Schaumburg" (NOS), vom Schöffengericht Stadhagen wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten Haft verurteilt. Der Richter sah Winter als Verantwortlichen der ehemaligen NOS-Internetseite. Auf der wurde ab dem 28. Januar 2007 in dem Text "Holocaust-Überlebende fordern NPD-Verbot – Wann endlich verbietet man Holocaust-Überlebende" letztere in NS-Diktion als "Volksschädlinge" verunglimpft und deren Nachkommen als "Mischpoke" diffamiert. Der Schmähtext gipfelte in der Forderung: "Schmeißt die Bande endlich raus."
Am 8. Februar 2007 hatten Staatsanwaltschaft Bückeburg und das Fachkommissariat Staatsschutz der Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg die ehemalige Wohnung von Marcus Winter, Schöttlingerstraße 14 in Lindhorst durchsucht. Dabei wurden zwei Computer beschlagnahmt.
Die vorläufige technische Auswertung im so genannten "Beschleunigten Verfahren" führte zu einer "lückenlosen Beweiskette", wie es im erstinstanzlichen Urteil heißt. Demnach hatte Winter als Domain-Inhaber der Seite die antisemitischen Hasstiraden ins Internet gestellt.
Gegen das Urteil legte die Staatsanwaltschaft noch am 19.03. Berufung ein, da sie es als "zu milde" ansah. Erreicht werden solle die im "Beschleunigten Verfahren" mögliche Höchststrafe von einem Jahr Freiheitsentzug. Einen Tag später legte Winters Verteidiger, Stefan Böhmer aus Uttenreuth bei Erlangen (Bayern), ebenfalls Berufung ein. Böhmer hatte schon den Holocaustleugner und glühenden Antisemiten Gerhard Ittner verteidigt, der sich seiner Haftstrafe durch die Flucht entzog, und war wegen seines ebenfalls den Holocaust leugnenden Plädoyers im Ittner-Prozess am 19.10.2005 vom Amtsgericht Nürnberg selbst wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 2.250 Euro verurteilt worden. Im Stadthagener Verfahren setzte Böhmer seine aus Nürnberg bekannten Tiraden fort und bezeichnete in seinem Plädoyer Holocaustüberlebende, die keine seien, als "Sozialschmarotzer", die den deutschen Staat erpressten.
Um seine bis Februar 2009 laufende Bewährung nicht zu gefährden, benannte Winter sowohl in Stadthagen als auch in Bückeburg den NOS-Aktivisten Jan Neuman aus Obernkirchen als "verantwortlichen Betreiber" der gelöschten Seite. Neumann, Anmelder des Nazi-Aufmarsches am 17. März in Minden, war am 13. Mai 2007 vom Bückeburger Amtsgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung nach dem Jugendstrafrecht zu 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Über Monate hatte er zusammen mit anderen Neonazis zwei albanische Familien terrorisiert, die im selben Haus in Obernkirchen lebten. Zuvor war er bereits zweimal wegen Diebstahls aufgefallen. Aber auch für Neumann kann es in naher Zukunft eng werden: Wegen einer Schützenfest-Schlägerei in Porta Westfalica am 2. Juli 2005 hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld Anklage gegen ihn, Marcus Winter und Marco Siedbürger wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Demnach sollen alle drei einen Festteilnehmer mit Fausthieben und Bierkrügen zusammengeschlagen und am Kopf verletzt haben. Auch zwei herbeieilende Helfer sollen mit Bierkrügen am Kopf getroffen, ein am Boden liegendes Opfer mit Reizgas besprüht, geschlagen und getreten worden sein. Auslöser der Gewalt war offenbar ein T-Shirt des Festteilnehmers – mit dem Aufdruck "Gegen Nazis". Nach rechtskräftiger Verurteilung von Marcus Winter im laufenden Volksverhetzungs-Prozess wird Neumann wohl außerdem noch mit einem Verfahren wegen Falschaussage zu rechnen haben.
Wie schon im März will Winter auch im aktuellem Berufungsprozess nicht in Haftung genommen werden. Er habe den Artikel "weder geschrieben noch veröffentlicht". Er habe sogar dafür gesorgt, dass der inkriminierte Artikel "schnell und unkompliziert gelöscht" worden sei. Letztendlich habe er lediglich die formalen Voraussetzungen für den Internetauftritt geschaffen und als Strohmann fungiert. Er sei ohnehin bekannt und habe auf der einen Seite "kein Problem, dass mein Name in der Öffentlichkeit steht". Er wolle damit andere vor "Linksfaschisten" schützen, die versuchten, an "Namen und Adressen von missliebigen Personen heranzukommen". Auf der anderen Seite beschwerte sich Winter – unterstützt durch Anwalt Böhmer - über Eingriffe in sein Privatleben. "Gewalttätige Linke" hätten zum Beispiel durch Veröffentlichungen dafür gesorgt, dass er "vor vier Wochen" seine "geringfügige Arbeit" verloren habe und gekündigt worden sei.
Neumann habe ab "Oktober/November" die Betreuung der NOS-Seite von Arwid Strelow übernommen, zeitweilig auch in der ehemaligen Wohnung in Lindhorst, da der Oberkirchener zwei Monate lange über keinen Internetanschluss verfügt habe. Wie mit Strelow habe auch mit Neumann die Abrede bestanden, keine strafrechtlich bedenklichen Texte zu veröffentlichen, gerade "im Hinblick auf meine Bewährung".
In Bückeburg hatte Winter auf intensive Befragung versichert, für die Internetseite der "Nationalen Offensive Nienburg" nicht verantwortlich zu sein und nur "einige" Neonazis aus Nienburg zu kennen. Nur kurze Zeit später wurde diese Aussage durch einen Sachbearbeiter des Staatsschutzes Nienburg/Schaumburg widerlegt. Die nach dem erstinstanzlichen Verfahren getätigte vollständige Auswertung der beschlagnahmten Computer ergab gespeicherte Übertragungen von Winter.
So forderte er zum Beispiel "Siggi" (Marco Siedbürger) per ICQ auf, das von ihm ausgelegte Geld für die Anmeldung der Nienburg-Seite zurück zu geben, nachdem er zuvor mitgeteilt hatte, dass er für die Nienburger "eine tolle Seite gebastelt" habe. Einen "Kameraden" aus Nienburg übersendete Winter die Passwörter für die Nienburg-Seite. An anderer Stelle schrieb Winter bezogen auf die NOS: "Schau auf unsere Seite, was ich alles Tolles geschrieben habe ... "
Auch wurde technisch nachgewiesen, dass Winter Pornofilme und indizierte Rechts-Rock-Stücke ins Internet gestellt hatte. Wegen letzteren ermittelt die Staatsanwaltschaft Hannover in einem eigenständigen Verfahren.
Weil Rechtsanwalt Böhmer diesen Teil der Akten noch nicht erhalten hatte, wurde der Prozess unterbrochen. Er wird am 16. Juli 2007 um 11.00 Uhr unter anderem mit der Vernehmung von Neumann fortgesetzt. Sollte Böhmer sich nicht wieder in den falschen Zug nach Bückeburg setzen und das Verfahren erneut verzögern, ist an diesem Tag mit einem Urteil zu rechnen. Winter steht bei einem Schuldspruch dann nur noch die Revision beim OLG Celle offen. Das Oberlandesgericht ist aber nur noch für eventuelle Verfahrensfehler und keinerlei inhaltliche Prüfung zuständig.
Winter riskiert bei einer Verurteilung in dem Strafverfahren erneut eine Haftstrafe samt Widerruf der laufenden Bewährung. Bei dem Vorstrafenregister mit fünf Verurteilungen und Delikten quer durch das Strafgesetzbuch darf das jedenfalls vermutet werden.
Bei der Gemeinde Lindhorst hatte Winter vor kurzem einen Gewerbeschein beantragt. Über das Internet will er unter anderem "Begleitschutz" anbieten.
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