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Die Glocke ,
26.02.2004 :
Entschädigungsansprüche / Zwangsarbeiter: Auf der Suche nach der Wahrheit
Von Hans-Jörg Kraneburg
Kreis Warendorf (gl). Die Augen der jungen Frau sind direkt in die Kamera gerichtet, beinahe ausdruckslos, wie es scheint. Es ist das Gesicht einer Zwangsarbeiterin, die während des Zweiten Weltkrieges aus ihrer Heimat verschleppt und in Ahlen zur Arbeit gezwungen worden war. Das Erkennungsfoto ist auf eine Arbeitskarte aufgeklebt - 2500 dieser Karten liegen dem Kreisarchiv Warendorf aus Ahlen vor. 2500 Namen, 2500 Schicksale, die in den vergangenen Monaten wieder an Aktualität gewonnen haben - laufen doch im Kreisarchiv die Fäden zusammen, wenn es um Fragen von Wiedergutmachung für ehemalige Zwangsarbeiter geht. Die Bundesrepublik Deutschland und die deutsche Wirtschaft haben einen Fonds von rund fünf Milliarden Euro aufgelegt, um die, meist aus Osteuropa stammenden, Menschen zumindest zu einem Teil für das erlittene Unrecht zu entschädigen. Für den Einzelnen bedeutet dies Summen von 2500 bis 7500 Euro (die Höchstsumme für in einem KZ Internierte). Zuvor muss allerdings in jedem Fall (deutschlandweit rund 600 000) geprüft werden, ob die Ansprüche rechtmäßig sind. Dazu trägt auch das Kreisarchiv in Warendorf bei.
Rund 11 000 Fremdarbeiter lassen sich laut Kreisarchivar Dr. Jochen Rath für den Kreis Warendorf namentlich nachweisen. Insgesamt wird die Zahl auf 13 000 bis 15 000 geschätzt. Anfragen erreichen das Archiv im Kreishaus an der Waldenburger Straße in Warendorf von den zuständigen Partnerorganisationen in Osteuropa über ein Verteilzentrum in Köln oder direkt von den Betroffenen. Die Nachforschungen erweisen sich oftmals als schwierig. "Nicht selten wurden die Namen der Zwangsarbeiter auf Zuruf in die Listen eingetragen - oder die Betroffenen erinnern sich nur noch ungenau an die Namen der Orte, in denen sie festgehalten wurden", so Dr. Rath. So kann der Hinweis Beelen auch Böhlen in Sachsen sein, oder die Angabe Tuchtor stellte sich als Füchtorf heraus. Rath: "Manchmal muss man einige Phantasie aufbringen, um eine genaue Zuordnung zu ermöglichen."
Über 8500 Nachweise sind inzwischen in einer zentralen Datenbank des Kreisarchivs gespeichert. Ein Verdienst vor allem von Achim Becker, der zwei Jahre lang als AB-Kraft beim Kreis auf diese Thematik angesetzt war. Und immer wieder fördert der Zufall neue Erkenntnisse, sprich: Akten, zu Tage, die sich nicht nur für den Kreisarchivar als Glücksfall erweisen, sondern besonders für die ehemaligen Zwangsarbeiter, die Nachweise für das von ihnen erlittene Martyrium erbringen müssen. So stieß Dr. Rath erst kürzlich auf ein Ausländerbuch der Stadt Sassenberg aus dieser Zeit. Und aus Fahndungslisten insbesondere des Altkreises Beckum (angelegt beispielsweise bei Fluchtversuchen) ergaben sich allein 253 Ergänzungseinträge. Wird eine Person in den Registern gefunden, so kann die Anfrage vom Kreisarchiv als "positiv" beschieden werden - eine wichtige Entscheidungshilfe für die spätere tatsächliche Auszahlung der Entschädigungssumme.
Für die ehemaligen Zwangsarbeiter tickt die Uhr, wenn sie von der Auszahlung noch etwas haben möchten. Die jüngsten, im Kreis Warendorf nachweisbar, sind 1934 geboren - viele ältere sind bereits verstorben. Die meisten Fälle sind allerdings inzwischen abgearbeitet. Knapp 200 Anfragen wurden von Warendorf aus beantwortet - 50 Prozent konnten positiv beschieden werden. Eine zeitintensive, aber auch spannende Aufgabe, wie Dr. Rath bestätigt - aber: "Es lohnt sich - besonders wenn die Richtigen das Geld bekommen."
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