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Lippische Landes-Zeitung , 25.02.2004 :

Folter aus der Nachbarschaft / Ingo Koppenborg stellt umfassendes Werk zur Hexenverfolgung in Detmold vor

Detmold (der). Die Detmolder des 17. Jahrhunderts hätten sich vielleicht über die triviale Harmonieformel eines Spülmittel-Herstellers des 21. Jahrhunderts gefreut: "Dann klappts auch mit dem Nachbarn …" Doch sie verfügten nicht über derartige Errungenschaften der Moderne, und es kam zu Konflikten mit der Nachbarschaft. Mit drastischen Konsequenzen, wie der Gymnasiallehrer und Historiker Ingo Koppenborg in seinem gestern im Detmolder Staatsarchiv vorgestellten Buch "Hexen in Detmold" feststellt. Die Hexenverfolgung dieser Zeit, so seine Erkenntnis, entsprang nicht den Absichten einer verfolgenden Obrigkeit, sondern viel entscheidender alltäglichen Konflikten.

Ingo Koppenborg räumt in dem 57. Band der Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins, mit dem laut Dr. Hermann Niebuhr vom Staatsarchiv "für Detmold die Sache abschließend erforscht worden ist", mit der Vorstellung auf, die Hexenverfolgung sei "von oben" initiiert worden. "Soziale Beziehungen der Verfolgenden und Verfolgten auf unterster Ebene hatten einen erheblich größeren Einfluss auf die Dynamik der Hexenprozesse", sagt der Oberhausener, der mit 220 Seiten ("Eine gekürzte Fassung meiner Dissertation") die Hexenforschung für Lippe, aber auch bundesweit bereichert. Dabei nennt er auch für den Laien aufschlussreiche Details wie den Alkoholkonsum der entscheidenden Personen bei den Gerichtsverfahren. Hier verraten die Primärquellen des Staatsarchivs und jetzt auch Ingo Koppenborg: "So wurden von diesen 20 Personen bis zu 1,5 Tonnen Bier und 35 Maß Wein bei einem einzigen Gelage verkonsumiert."

Mag der Vollrausch als eine Ursache der Grausamkeiten weniger überraschen, so wartet der Hexen-Kenner aus dem Ruhrgebiet beim Thema Folter mit einer nahezu verstörenden These auf: Dies sei ein Versuch des rationalen Beweises der Vorwürfe. Koppenborg: "Die Folter war ein sehr systematischer Vorgang, bei dem nach und nach Geständnisse abgelegt wurden."

Für die meisten der Angeklagten bedeuteten diese Geständnisse Hinrichtung. Unter 21 Detmolder Fällen (insgesamt waren zehn Prozent der damaligen Detmolder Bevölkerung der Hexerei beschuldigt worden) widerstand nur eine einzige Frau den Qualen der Folter. "Sie überstand die drei Grade der Folter und wurde entlassen. Ich möchte aber nicht wissen, wie sie dann ausgesehen hat", erklärt Ingo Koppenborg.

Die Hexenwahn begrenzte sich dabei nicht auf Frauen, obgleich die alte Witwe zu Beginn der Verfolgung auch in Detmold den Idealtypus der Hexe darstellte. Männer wurden ebenso Opfer - und Kinder, die in der Residenz eine besondere Rolle spielten. Etwa 50 von ihnen wurden inhaftiert. Sie wurden Opfer, aber auch entscheidende Ankläger während der Hexenprozesse. Koppenborg: "Sie spielten mit ihren Aussagen, denen fast uneingeschränkt Glauben geschenkt wurde."

Am Ende seines Buches vergleicht der Autor das 17. Jahrhundert mit der Gegenwart und erkennt, dass die Motive für die Verfolgung noch immer existieren. "Die sozialen Konflikte scheinen zeitlos zu sein, jedoch das Instrumentarium, dessen man sich damals bedienen konnte, um diese Streitigkeiten zu lösen, ist es natürlich nicht", räumt Ingo Kloppenborg ein. Beruhigend: Dann muss es auch nicht unbedingt mit dem Nachbarn klappen.

Ingo Koppenborg: "Hexen in Detmold", ISBN 3-89534-337-4, 24 Euro.


Detmold@lz-online.de

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