Schaumburger Zeitung ,
18.02.2004 :
"Türkischer Igel" etwas gewiefter als niedersächsische "JU-Hasen" / Mehmet Ferden Carikci Gast der Jungen Union Niedersachsen / "Ick bün all hier"
Bückeburg (bus). Die Türkei ist gegenwärtig bei den Deutschen schwer angesagt. Innerhalb weniger Tage empfängt Ministerpräsident Tayyip Erdogan Oppositionschefin Angela Merkel und Bundeskanzler Gerhard Schröder. Etliche politische Etagen tiefer nahm am vergangenen Sonnabend auch die Junge Union (JU) Niedersachsen während eines Kongresses in Bückeburg Kontakt mit einem offiziellen Vertreter Ankaras auf. Bei allen Treffen stand die Aufnahme der Türkei in die Europäische Gemeinschaft (EU) im Mittelpunkt des Interesses.
Mehmet Ferden Carikci (35), der Bückeburger JU-Gast, hatte, unter umgekehrten Vorzeichen, in der schaumburg-lippischen Metropole einen ähnlich schweren Stand wie Merkel (49) in der türkischen Hauptstadt. Die Christdemokratin befürwortet statt der Vollmitgliedschaft eine "privilegierte Partnerschaft". Alles andere als ein klares, eindeutiges "Ja" zum Beitritt der Türkei würde zur Zeit in Ankara als "ein Schock für das Land" empfunden, wissen westliche Diplomaten. Der hochintelligente und weltgewandte junge Mann traf mit dem Nachwuchs der CDU auf eine Interessenvertretung, die den EU-Beitritt der Türkei rigoros ablehnt.
Gleichsam als Schild und schweres Geschütz zugleich hatte die Junge Union ihrer so genannten "Regensburger Erklärung" das Zitat von Valéry Giscard d''Estaing ("Diejenigen, die jetzt auf einen Beitritt der Türkei drängen, sind Gegner der Europäischen Union") vorangestellt. "Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung", mochte der Erste Sekretär der türkischen Botschaft die Äußerung des Präsidenten des EU-Verfassungskonvents nicht kommentieren. Die "Regensburger Erklärung", in der die JU festhält, dass ein "Europa unter Einschluss der Türkei keine echte politische Schicksalsgemeinschaft mehr" sein könne und "sich politisch und historisch selbst erledigt" hätte, sei jedoch unabhängig vom Meinungsinhalt sehr wohl zu kritisieren.
Carikci monierte insbesondere unrichtige Faktendarstellungen. Was aber in der Berichterstattung über sein Heimatland nicht ungewöhnlich sei: "Häufig wird diesseits des Bosporus ein veraltetes und falsches Bild der Türkei gezeichnet." "Vorteile oder Vorurteile", lautete denn auch der bezeichnende Titel einer vom Botschaftssekretär verteilten Broschüre, die wirtschaftliche Eckdaten und Prognosen zusammenfasst. Die Kongressteilnehmer reagierten auf die Schilderungen Carikcis ein wenig wie Goethes Doktor Faust – "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube". Auch argumentativ tat sich der christdemokratische Nachwuchs nicht leicht. Dem ausgewiesenen Experten, der "keine Privilegien, keinen Rabatt" sondern lediglich die "gleiche (gerechte) Behandlung wie gegenüber den anderen Beitrittskandidaten" einfordert, war im direkten Gespräch mit Allgemeinplätzen kaum Paroli zu bieten. Zudem erinnerte der Gast an eine erkleckliche Zahl Unionspolitiker – angefangen bei Konrad Adenauer – die seit dem anno 1963 zwischen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschlossenen Assoziierungsvertrag die Mitgliedschaft Ankaras befürwortet haben.
Im Anschluss an das Referat mochte zunächst niemand aus dem Plenum auf die martialische Aufforderung von Versammlungsleiter Andreas Winkler ("Feuer frei!") zu Frageformulierungen reagieren. Erst nachdem sich einige Teilnehmer mit langatmigen Stellungnahmen (" ... wir sind gute Freunde, aber man muss nicht alle Freunde einladen ... ") "warmgeschossen" hatten, entwickelte sich ein an eine Diskussion erinnernder Wortwechsel.
Dessen Verlauf glich ein wenig dem Märchen-Wettlauf zwischen Hase und Igel. Von beinahe überall, wo die "JU-Hasen" hinwollten, meldete der etwas gewieftere "türkische Igel" "Ick bün all hier". Beispielhaft die Frage nach den "benachteiligten Mädchen auf dem Lande". "Nicht nur die Mädchen", konterte der Sekretär, hätten – gleich ob mit oder ohne Kopftuch – "auf dem türkischen Lande" zahlreiche Benachteiligungen zu gewärtigen. Das gleiche gelte für Jungen, für Frauen und für Männer.
Der leise und wohlüberlegt sprechende Botschafter machte einen bestens präparierten Eindruck, vermied es aber trotz nicht zu überhörender kritischer Untertöne, seinen Gegenüber vor den Kopf zu stoßen. "Sie werden diejenigen sein, die eines Tages tatsächlich über unseren Beitritt zu entscheiden haben", wagte er einen Blick in die Zukunft. So betrachtet war das Treffen in Bückeburg womöglich von größerer Bedeutung als die Besuche von Merkel und Schröder in Ankara.
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