Internationales Beratungszentrum ,
16.02.2004 :
"Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen" / 11. aktualisierte Auflage der Dokumentation erschienen / Drei Selbsttötungen in Ostwestfalen-Lippe im Jahr 2003
Berlin/Detmold. "Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen 302 Flüchtlinge ums Leben - durch rassistische Übergriffe starben 78 Flüchtlinge." Dies ist das Fazit einer umfangreichen Untersuchung für den Zeitraum von 1993 bis 2003 der Berliner "Antirassistische(n) Initiative", die ihre Dokumentation "Bundesdeutsche Politik und ihre tödlichen Folgen" nun bereits in der 11. aktualisierten Auflage heute veröffentlicht hat.
Die Dokumentation belege, so die Antirassistische Initiative, die Auswirkungen einer rigorosen Asylverweigerungspolitik. Die Untersuchung beschreibt dabei in 3.400 Einzelgeschehnissen die Folgen einer Ausgrenzungs- und Abschottungspolitik für die Flüchtlinge.
In Ostwestfalen Lippe hat es aus Angst vor Abschiebung im Jahr 2003 drei Selbsttötungen gegeben:
1.) Aus Angst vor seiner bevorstehenden Abschiebung erhängt sich am 16. Januar der yezidische Flüchtling David Mamedov in seiner Wohnung in Schloß Holte. Er hinterlässt eine Frau und zwei minderjährige Söhne. Die Familie war 1996 nach schweren Mißhandlungen aus Georgien geflohen. Am 10. Februar wurde sie als aslyberechtigt anerkannt. Das Verwaltungsgericht Minden hatte dann diese Anerkennung nach einer Klage des Bundesbeuaftragten für Asyl-Angelegenheiten aufgehoben. Die Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh hatte Herrn Mamedov darauf mitgeteilt, dass er und seine Familie in Kürze abgeschoben werden, und ihm die Duldung abgenommen. Am 30. Juni, kein halbes Jahr nach dem Tod des Ehemannes und Vaters, werden Frau Mamedov und die Kinder von der Ausländerbehörde aufgefordert, "das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen". Gegen die angedrohte Abschiebung läuft zur Zeit immer noch ein Verfahren.
2.) Am 31. Juli übergiesst sich der 33 Jahre alte Türke Hüseyin Dikec in einer Außenstelle der Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh mit Grillanzünder und setzt sich in Flammen. Er läuft brennend über den Flur, bis er von zwei Polizeibeamten und Mitarbeitern der Ausländerbehörde mit Pfefferspray überwältigt wird. Dann gelingt es, die Flammen mit Jacken, Decken und Feuerlöschern zu löschen. Schwer verletzt am Kopf und Oberkörper kommt Hüseyin Dikec zunächst ins Krankenhaus Rheda-Wiedenbrück, später in die Spezialklinik Bergmannsheil nach Gelsenkirchen. Er schwebt in Lebensgefahr.
Seiner Verzweiflungstat ist eine verbale Auseinandersetzung seiner Frau mit dem zuständigen Sachbearbeiter vorausgegangen, weil am Vortag das Oberverwaltungsgericht Münster die Beschwerde ihres Mannes gegen eine Abschiebungsverfügung abgelehnt hat. Zu diesem Streitgespräch ist Hüseyin Dikec hinzugekommen und hat sich in einer Ecke des Raumes - auch vor den Augen der fünf Kinder seiner Frau - in Flammen gesetzt. Dabei wird auch seine Frau leicht verletzt, so dass sie ins Städtische Krankenhaus Gütersloh eingeliefert werden muss.
Hüseyin Dikec hatte seine Selbsttötungsabsicht seinem Anwalt mitgeteilt, der dieses an die Behörde weitergab. Aus diesem Grunde waren die Polizeibeamte in der Ausländerbehörde relativ schnell zur Stelle.
Der Gütersloher Landrat Sven-Georg Adenauer kommentierte am 31. Juli diese Verzweiflungstat wie folgt: "Es ist unglaublich, mit welchen Mitteln die Ausreise verhindert werden sollte. ( ... ) Wir lassen uns auch künfig nicht unter Druck setzen, erst Recht nicht durch solche Aktionen."
Am 24. August erliegt Hüseyin Dikec seinen Verletzungen.
3.) Am 23. September geht der 51 Jahre alte Georgier David Kapadnadze in Hiddenhausen (Kreis Herford) zur Tankstelle und kauft sich Benzin. Im Vorgarten seines Wohnhauses giesst er es über Kopf und Körper und zündet sich an. Er stirbt an seinen Verbrennungen am folgenden Tag.
David Kapadnadze, studierter Betriebswirt, hatte 1992 in Georgien aus politischen Gründen seine Arbeit in den Kommissionen für Wirtschaft und Soziales verloren und wurde fortan immer wieder von der Polizei abgeholt und aufs Schwerste mißhandelt und gefoltert. 1999 war er nach Deutschland geflohen und hatte politisches Asyl beantragt. Durch die erlebte Folter litt er an einer posttraumatischen Belastungsstörung und war immer wieder suizidgefährdet.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entschied seinen Antrag positiv. Der Bundesbeauftragte klagte allerdings umgehend gegen diese Entscheidung.
David Kapadnadze musste erneut alle drei Monate zur Ausländerbehörde des Kreises Herford, immer in der Angst, abgeschoben zu werden. Im Juni erfuhr er, dass zwei seiner Neffen in Georgien unter ungeklärten Umständen erstochen wurden. Im Juli erging vom Ausländeramt die Abschiebungsverfügung für seinen 18 Jahre alt gewordenen Sohn.
Das Detmolder Internationale Beratungszentrum (ibz), dass für den Bereich Ostwestfalen-Lippe der Antirassistischen Initiative zugearbeitet hatte, weist in diesem Zusammenhang auf eine "erfreuliche Nachricht" hin: Der in Detmold lebende kurdische Flüchtling Muhsin Sit, der im Mai 2002 einen Suizidversuch überlebte (ebenfalls in der Dokumentation nachzulesen), ist nun endgültig als politischer Flüchtling anerkannt. Der zehnfache Familienvater war in der Türkei mehrfach festgenommen und schwer gefoltert worden und litt an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit begleitender Suizidgefährdung. Obwohl dies fachärztlich mehrfach attestiert war, versuchte die Stadt Detmold, die Familie im Mai 2002 in die Türkei abzuschieben. Gegen die Anerkennung als politisch Verfolgter durch das OVG Münster im Dezember letzten Jahres, hatte der Bundesbeautftragte kein Rechtsmittel mehr eingelegt.
Die Dokumentation "Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen - 1993 bis 2003" ist erhältlich bei:
Antirassistische Initiative e.V.
Yorckstraße 59
10965 Berlin
Telefon: 030 - 785 72 81
Telefax: 030 - 786 99 84
E-Mail: ari-berlin@gmx.de
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