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Bünder Tageblatt / Neue Westfälische , 23.02.1993 :

Ereignisse sprechen für sich

Zu den Vorkommnissen in der Stadt Bünde am Wochenende erhielten wir folgenden Leserbrief:

Die Zeichen der Zeit zu erkennen, ist eine Sache der Tagespolitik, adäquat auf sie zu antworten, eine andere. Was bei den Lichterdemonstrationen gegen Gewalt von rechts und Ausländerfeindlichkeit, bei denen sich bundesweit hunderttausende von Menschen solidarisiert haben, gefordert wurde, läuft Gefahr, als leere Phrase eher eine Art Strohfeuer gewesen zu sein: Zivilcourage, klares Handeln, wehrhafte Demokratie. Die Zeichen der Zeit wurden erkannt, ganz eindeutig.

Doch die Solidaritätsbekundungen, die Bereitschaft zu mutigem, verantwortungsvollen Handeln, weichen zunehmend dem Gefühl der Angst, vielleicht auch der Ohnmacht, vor allem aber der Bequemlichkeit. Niemand sollte als Scheinargument vorschieben, die Tagesereignisse hätten sich geändert, eine Reaktion in dieser Form sei nicht mehr akut, werde nicht gebraucht.

Wenn einem Schüler von Rechtsradikalen Prügel angedroht werden, wenn Aufkleber mit rechtsradikalen Parolen Schule und Rathaus verschandeln, diese Aufkleber im Bünder Land in Briefkästen verteilt werden etc., bedarf es keiner großen Worte mehr, um die Aktualität dieser Sitaution zu verdeutlichen - die Ereignisse des letzten Wochenendes sprechen eindeutig für sich.

Und doch bleibt immer die eine Frage offen: wie soll mit den jugendlichen Tätern verfahren werden? Propagiert wird so oft das "Gespräch", eine Art "Aufeinander-Zugehen", Erklärungsansätze, Verständnis, ... Sicherlich scheint diese Art von Auseinandersetzung mit dem Jugendlichen einige Vorteile derjenigen gegenüber zu haben, bei dem eine Horde emotionsgeladener Bürger auf einen als Sündenbock abgestempelten hereinstürzt und ihn mit Vorwürfen belagert - vor dem Hintergrund sozialpolitischer Ursachen jugendlichen Rechtsradikalismus wohl auch etwas blauäugig und hypokritisch. Doch nach wie vor ist der Täter in erster Linie Täter und nichts weiter. Punkt.

Was man ihm deutlich machen muss, hinsichtlich der Aufgabe, Vorbildfunktion zu haben, ist doch der Punkt, dass in einer sich als demokratisch bezeichneten Gesellschaft Regeln und Rituale existieren, an die sich jedes Individuum anzupassen hat. Wo bleibt die Glaubwürdigkeit, dass diese Gesellschaft fähig und auch würdig ist, sich dieser Wehrhaftigkeit zu rühmen, wenn sich nach Art der in der Weimarer Republik praktizierten Politik zunehmend das Phänomen des "Darüber-Hinwegsehens" abzeichnet? Wo ist unsere Solidarität jetzt? Wo ist die Reaktion? Die Zivilcourage? Die Gemeinschaft der wehrhaften Demokraten? Mehr denn je sind wir als Gemeinschaft gefordert.

Katrin Ribbe
Saarlandstraße 3
Bünde


lok-red.buende@neue-westfälische.de

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