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Lippische Landes-Zeitung , 07.02.1981 :

"Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist"

Dass doch immer das Kind zuerst "in den Brunnen gefallen" sein muss, ehe die Behörde vom "hohen Roß" heruntersteigt! Schwierigkeiten lassen sich doch nur lösen, wenn man von beiden Seiten her das Problem auf die menschliche Ebene zurückführt und einander mit gutem Willen und Verständnisbereitschaft begegnet.

Wie anders hätte die Auseinandersetzung um das Klingenberg-Projekt ausfallen können, wenn der Vorschlag der Stadtverwaltung, wie er am Dienstag, 20. Januar, in den Detmolder Tageszeitungen bekannt gemacht wurde, vor dem harten und gewaltsamen Ende der Hausbesetzung gemacht worden wäre!

Verständnisbereitschaft und warme Menschlichkeit auf beiden Seiten und die leider erst zu spät gebrachte Lösungsmöglichkeit durch Zur-Verfügung-Stellen eines ebenfalls ungenutzten Gebäudes hätte die Jugend befriedigen, die Behörde die "widerrechtliche Hausbesetzung" ohne harte Keulenschläge und böse Worte und Taten beenden können. Der Polizeieinsatz aber konnte nur ein Gegen- und Auseinander von Jugend, Polizei und Behörde erreichen.

Der Vorschalg der Stadtverwaltung erkennt als solcher ja die Forderung der Hausbesetzer als berechtigt an. Von vielen Seiten ist die Arbeit der Jugendlichen im Klingenberg-Gebäude als wertvoll und erfolgreich bezeichnet worden. Dass das Gehabe und Wesen einzelner nicht den Maßstäben und Wünschen der Behörde entspricht, trifft sicherlich zu. Sie haben sich damit aber wohl kaum völlig außerhalb einer erträglichen Gesellschaft gestellt. Jede Jugend denkt und fühlt anders als die Generation ihrer Väter. Wäre dem nicht so, gäbe es wohl kaum einen "Fortschritt" im echten Sinne des Wortes! Jugend muss ihre Gedanken äußern und sich unter Umständen auch bemühen, sie "hart" durchzusetzen.

Jeder Psychologe kennt die Eigensinnphasen beim Kleinkind, Schulkind und bei der heranwachsenden Jugend nicht als unerträglich, sondern als eine Phase, die durchlaufen und durchgestanden werden muss, um eine feste, klare und charaktervolle Persönlichkeit zu bilden! Möchten doch die Erwachsenen, das heißt auch Vorgesetzte und Behörden sehen, wie schwer es für die heutige Jugend ist, den allgemeinen "Wohlstandstrend" zu ertragen! Er zerstört so viel lebendiges "Leben"! Die Jugend erkennt und erlebt, dass dieser letztlich nicht zu einem "besseren", zu einem an inneren und Naturwerten orientierten Leben führt, sondern durch die Ausplünderung der Erde, durch die immer noch weiter geförderte "Wachstumswirtschaft" zum allgemeinen Debakel, zum Untergang von Mensch und Erde führen muss.

Diesem in gemeinsamer Anstrengung mit allen Kräften entgegenzuwirken, muss heute das Bemühen von jung und alt sein, zu dem sie sich in Offenheit und Verständnisbereitschaft friedlich die Hände reichen sollten!

Else Horstmann
Oberstudiendirektorin a. D. (81 J.)
Am Sonnenhang 8
Detmold
Weltbund zum Schutz des Lebens

07./08.02.1981

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