Schaumburger Zeitung ,
10.02.2004 :
Blick auf das gemeinsame Schicksal / Deutsch-polnisches Ausstellungsprojekt zum Thema „Vertreibung“ in Arbeit
Rinteln (ur). Während auf der Ebene der „großen“ Politik noch um die Zukunft und den Standort eines europäischen Zentrums für die Aufarbeitung der Vertreibungsschicksale auf unserem Kontinent gerungen wurde, machen Museumsfachleute und Historiker aus den Landkreisen Hameln-Pyrmont und Schaumburg sowie dem heute polnischen Stroda Slaska (früher Neumarkt, 30 km westlich von Breslau) schon ernst mit der vorurteilsfreien Annäherung an dieses Thema.
Einige tausend Deutsche aus dem schlesischen Neumarkt führte das bittere Schicksal der Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg in den Weserraum, während dorthin Menschen überwiegend aus Weißrussland und der Ukraine nachströmten, ebenfalls getrieben von den Kriegsfolgen.
Der Historiker Florian Heidtmann aus Obernkirchen hat in über zwanzig Interviews mit ehemaligen Neumarktern die menschliche Seite von Vertreibung herausgearbeitet und die Biografie der ehemaligen Flüchtlinge von ihrer Kindheit in Schlesien bis in ihre neue Heimat dokumentiert. Seine Gesprächspartner dafür wohnen heute überwiegend im Landkreis Schaumburg. Damit diese bewegenden Lebensberichte auch für die jüngere Generation „sinnlich“ nachvollziehbar werden, hat Heidtmann sich von allen Gesprächspartnern Gegenstände geben lassen, die dingliches Zeugnis von der Vertreibung ablegen: Das Spektrum dieser Erinnerungsstücke reicht vom Hausschlüssel und der geliebten Sonntags-Kaffeetasse bis hin zu den notgedrungen nur spärlich mitgeführten Gebrauchsgegenständen aus der alten Heimat.
Zusammen mit Dokumenten, Fotos und Schautafeln werden diese „fassbaren Stücke“ von Museumsleiter Stefan Meyer vom Schaumburger Museum Eulenburg in Rinteln zu einer Ausstellung zusammengestellt, die in Verbindung mit den Exponaten und Informationen der polnischen Partner vom Schlesischen Regionalmuseum zum begeh- und begreifbaren Geschichtsbuch wird und bewusst zweisprachig angelegt ist: „Die Ausstellung soll über die Grenzen hinweg gezeigt werden und zur Reflexion von Geschichte einladen“, weiß sich Meyer einig mit Museumsleiter Grzegorz Borowski und Kustos Zbigniev Aleksy vom Stadt- und Regionalmuseum aus Stroda Slaska.
Parallel zu den deutschen Interviews haben die polnischen Museumsfachleute in ihrer Region Gespräche mit dortigen Vertriebenen und anderen Zeitzeugen geführt, die ebenfalls zum angestrebten informatorischen und menschlichen Gehalt der Ausstellung beitragen sollen.
Nicht nur die Bezirksregierung Hannover, die Stiftung Niedersachsen und die Sparkassenstiftung tragen mit ihren finanziellen Zuwendungen zur Realisierung des ambitionierten Projekts teil: Durch Vermittlung der Deutsch-Polnischen Gesellschaft leisten auch polnische Institutionen ihren inhaltlichen und materiellen Beitrag, wobei sich einmal mehr die guten Kontakte von Derk Steggewentz bewährten, der von Rinteln aus seit vielen Jahren an der deutsch-polnischen Verständigung arbeitet.
Die Eröffnung in Rinteln soll am 28. Juni erfolgen und im November wandert die Ausstellung weiter nach Stroda Slaska. Die relativ lange Laufzeit der „Neumarkt-Dokumentation“ soll dazu beitragen, dass möglichst viele der in unserem Raum ansässigen Schlesier Gelegenheit zur Reflexion mit dieser Periode ihrer persönlichen Vergangenheit haben.
Zur vertiefenden Information wird in den kommenden Monaten auch noch eine ebenfalls zweisprachige Broschüre erarbeitet, die in beiden Ländern gleichzeitig erscheinen soll.
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