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Vlothoer Anzeiger , 06.03.2007 :

Einst angesehen, dann deportiert / Dritte Stolperstein-Aktion erinnert an Schicksale jüdischer Kaufleute / Besuch aus Florida

Vlotho (va). Sie waren angesehen, Vlothoer kauften gerne bei ihren jüdischen Mitbürgern. Nach Recherchen der Mendel-Grundmann-Gesellschaft habe es bis 1938 eine Vielzahl jüdischer Geschäfte in Vlotho gegeben.

Von Michaela Berbalk

Kaffee mit Korinthenstuten für die Damen, den Männern eine Zigarre und für die Kinder eine Tafel Schokolade: Die Verkaufsatmosphäre in jüdischen Läden sei angenehm gewesen. Das änderte sich jäh mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

An das Schicksal der Kaufleute und deren Familien soll bei der dritten und letzten Stolperstein-Aktion erinnert werden (VA berichtete). Künstler Gunter Demning wird am Donnerstag, 15. März, ab 9 Uhr acht Steine an der Firma Lohmeier Schaltschränke, Herforder Straße 99, legen. Denn dort stand früher die Papierfabrik der Brüder Moses und Levi Mosheim. Sie stammten aus Wrexen/Waldeck und übernahmen 1906 die marode Fabrik, bauten sie nach industriellen Gesichtspunkten völlig neu auf. Die Papierfabrik war der einzige jüdische Industriebetrieb in Vlotho. Herbert Mosheim (geb. 1908 in Vlotho), war dort Betriebsleiter. Er wanderte 1939 nach Großbritannien aus, ein Jahr später ging es in die USA. Seine Angehörigen, zu denen er zunächst noch Briefkontakt hielt, überlebten den Holocaust nicht. Für sie wird je ein Stolperstein vor der Firma Lohmeier verlegt:

Hilde Kohlberg, geb. Mosheim (Schwester Herbert Mosheims): geb. am 14. April 1910 in Valdorf, verheiratet mit Walter Kohlberg, lebte in Lauenförder, von dort deportiert nach Warschau am 13. April 1942, verschollen.

Ilse Charig, geb. Mosheim (Schwester): geb. am 18. Juni 1906 in Landau/Waldeck, verheiratet mit Dr. Julius Charig, lebte in Stendal, von dort deportiert nach Warschau am 13. April 1942, verschollen.

Gerda Mosheim (Schwester): geb. am 23. Mai 1924 in Valdorf, Ausbildung zur Schneiderin in Köln, von Vlotho aus deportiert nach Warschau am 30. März, 1942, verschollen.

Dora Grundmann (Kusine von Herbert Mosheim, siehe oben).

Erich Grundmann (Ehemann Kusine): geb. am 20. April 1880 in Vlotho, Kaufmänn. Angestellter bei Fa. Gebr. Mosheim, deportiert nach Warschau am 30. März 1942, verschollen.

Magdalene Grundmann (Tochter von Dora und Erich Grundmann): geb. am 18. Mai 1916 in Offenbach, deportiert nach Warschau am 30. März 1942, ermordet in Auschwitz.

Leoni Warschauer, geb. Grundmann (Tochter von Dora und Erich Grundmann): geb. am 10. Dezember 1917 in Offenbach, verwitwet, deportiert nach Warschau am 30. März 1942, verschollen.

Moses Mosheim (Onkel Herbert Mosheims, siehe oben).

Erst nach dem Tod des Vaters Herbert Mosheim begann für seine beiden Töchter die Aufarbeitung der Erinnerung. Dass ihre Angehörigen Opfer der Nationalsozialisten wurden und die Deportation nicht überlebten, damit setzt sich Susan Alterman-Moss, Tochter Herberts Mosheims, in Vlotho auseinander. Auf Einladung der Mendel-Grundmann-Gesellschaft (MGG) wird sie zusammen mit Ehemann Leonard die dritte und letzte Stolperstein-Einweihung am Samstag, 17. März, miterleben und einige Worte sprechen. Für Helmut Urbschat, Manfred Kluge und Ralf Steiner (MGG) ein ganz besonderer Moment. "Denn zum ersten Mal werden Angehörige von Holocaust-Opfern bei der Gedenk-Veranstaltung dabei sein", freuen sich die drei.

Familie Moss schickt Weihnachtskarten

Voraussichtlich wird das Ehepaar aus Florida vom 14. bis 18. März nach Vlotho kommen. Zur Familie Moss (englisch für Mosheim) bestehen schon seit den Achtziger Jahren Kontakte. "Jedes Jahr bekommen wir zum Beispiel eine Weihnachtskarte samt Spende", berichtete Manfred Kluge. Auch per Mail berichten die Vlothoer über ihre Aktionen. Susan, deren Schwester Nancy und Mutter Inge waren während der Begegnungswoche 1988 beeindruckt von der Aufarbeitung der Vlothoer Holocaust-Vergangenheit.

Weitere sechs Stolpersteine sind für Angehörige der Familien Speier beziehungsweise für Isaak Oskar Rosenwald an der Höltkebruchstraße 9 gedacht. Dort wüteten die Nazionalsozialisten in der Reichskristallnacht, 19. November 1938, und zerstörten das Haus der jüdischen Familie Speier. Jeweils ein Stolperstein wird verlegt für:

Nathan "Sally" Speier: geb. am 22. November 1877 in Züschen/Waldeck, Gastwirt, Viehhändler, deportiert am 30. März 1942 nach Warschau, Todestag am 11. Mai 1942.

Henriette Speier: siehe oben.

Erna Speier: geb. am 9. Februar 1906 in Vlotho, Fabrikarbeiterin, deportiert nach Warschau am 30. März 1942, verschollen.

Hildelore Simon: geb. Speier, geb. am 3. Mai 1915 in Vlotho, ausgewandert 1934 in die Niederlande, von dort deportiert nach Auschwitz, verschollen.

Emmi Speier: geb. am 9. September 1886 in Züschen/Waldeck, ledig, Arbeiterin, deportiert nach Warschau am 30. März 1942, verschollen.

An der dritten Stolperstein-Aktion ist auch "Moral & Ethik" wieder maßgeblich beteiligt. Der Verein lädt zum Dia-Vortrag mit Gunter Demnig am Donnerstag, 15. März, ab 20 Uhr ins Gemeindehaus St. Johannis an der Moltkestraße ein. Der Künstler wird über seine Laufbahn berichten.

WGV-Schüler tragen wieder Texte vor

Die Übergabe der Stolpersteine ist am 17. März, 10.30 bis 12.30 Uhr, im Gemeindehaus St. Stephan. Die Ausstellung "Sie waren Bürger unserer Stadt" wird teilweise gezeigt. WGV-Schüler werden sich mit Texten einbringen. Anschließend ist ein Gang zu den Verlegeorten geplant. Wer nicht gut zu Fuß ist, für den wird ein Bus-Service eingerichtet.


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