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Paul Stöver , 18.01.2005 :

"Psyche ist noch nicht ausgereift" / Prozess gegen NPD-Schläger

Der Morgen des 18. Januar 2005 beginnt schleppend. Es ist ein weiterer Dienstag in Stadthagen in der Nähe von Hannover. Aber selbst dem ungeübten Betrachter fällt an diesem Morgen auf, dass etwas anders ist in dem beschaulichen Städtchen im Weserbergland. Mehrere Einsatzwagen der Polizei befinden sich seit den Morgenstunden in der Umgebung des Amtsgerichtes; Beamte des Staatsschutzes, der politischen Polizei, sichern den Eingangsbereich. Im Inneren des Gebäudes, in einem Saal des Jugendschöffengerichts sitzt ein junger Mann auf der Anklagebank und wartet auf den Beginn seiner Verhandlung.

Arvid Strelow aus Lindhorst, Mitglied der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in Niedersachsen muss sich für seine Tätigkeiten im Umfeld der NPD verantworten. In den vergangenen Monaten verbrachte der 20-jährige Abiturient seine Zeit damit, an einer Karriere in den Reihen der Landes-NPD zu stricken. Nach seinen eigenen Angaben ist diese Karriere auch mit mehr Erfolgsaussichten ausgestattet als seine vormals angestrebte Laufbahn als Architekt. Denn seiner schulischen Laufbahn scheinen in den letzten Wochen mehrere Steine in den Weg gelegt worden zu sein. So wird seine Schule nach seinen Angaben seit Wochen von Autonomen belagert, im Internet kursieren Gewaltandrohungen, und er müsse um sein Leben fürchten.

Strelow, der im vergangenem Jahr bei allen größeren Veranstaltungen der NPD auf Bundesebene aufgetreten ist und immer wieder im Dunstkreis des entstehenden Nazi-Schulungs- und Strategiezentrums "Heisenhof" im niedersächsischen Dörverden gesichtet wird, wirkt an diesem Morgen etwas verstört – sieht er sich doch einem für ihn heiklen Prozess gegenüber.

Vor seinem geistigen Auge wird Strelow sich den Mittag des 13. März vergangenen Jahres in Erinnerung rufen. Jenen Märztag, an dem er und 30 weitere Mitglieder der NPD auf dem Marktplatz von Rotenburg/Wümme eine Kundgebung zum Europawahlkampf mit dem verurteilten Holocaustleugner Günther Deckert abhielten. Diese Kundgebung wurde den gesamten Morgen hinüber von mehreren hundert Gegendemonstranten belagert, und die vom Veranstaltungsleiter Sascha Jörg Schüler eingesetzten Ordner der NPD standen unter massivem Druck. So auch Arwid Strelow.

Am Ende der Kundgebung, als die Mitglieder der NPD unter Polizeischutz zum Bahnhof eskortiert wurden, geschah eben jene Tat, wegen welcher nun im Amtsgericht Stadthagen Gericht gehalten wird. Strelow – bewaffnet mit einem Dachlatte an deren Ende ein Pappschild der JN befestigt war – schlug, als es die Polizeikette aufgrund einer größeren Lücke ermöglichte, auf anrückende Gegendemonstranten ein. Dabei verletzte er einen umherstehenden Passanten so schwer, dass diesem das Jochbein zertrümmert wurde und er beinahe sein Augenlicht verlor.

Strelow hat in der Folgezeit schon einen Prozess verloren gegen eine Tageszeitung, die ihn als Täter im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Rotenburg öffentlich machte. Sein Rechtsanwalt damals war Klaus Kunze aus Niedersachsen, der schon Thorsten Heise vor Gericht vertrat.

Auch der Prozess im morgendlichen Stadthagen steht für den Awvid Strelow unter keinem guten Stern. Existiert doch ein Videoband, auf welchem er bei seinem Angriff im flagranti erwischt wurde.

Im Saal des Jugendschöffengerichts befinden sich ungefähr ein Dutzend interessierte Zuhörer, darunter mehrere Staatsschutzbeamte sowie zwei Personen, die dem Umfeld der "Freien Kameradschaft Weserbergland" zuzurechnen sind. An einer Holzwand hinter der Richterbank lehnt die Tatwaffe.

Nachdem der Prozess mit einiger Verspätung begonnen hatte und ein von Strelows neuem Anwalt Dr. V. Wissgott gestellter Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit abgewiesen wurde, bekam der Angeklagte das Wort. Eine Erklärung und eine Entschuldigung, die Strelow abzulesen schien, erweichten nicht das Herz des zuständigen Gerichts, wie sich in der späteren Urteilsverkündung zeigen sollte. Der sonst souverän auftretende Angeklagte, der mit Mitgliedern der NPD und der "Kameradschaft Weserbergland" an der versuchten Erstürmung einer Veranstaltung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW im niedersächsischen Verden beteiligt war, machte an diesem Morgen keinen guten Eindruck.

Seine Sätze und Ausführungen hinterließen den Eindruck von Unsicherheit. So musste das Gericht den Angeklagten mehrmals bitten, so zu sprechen, dass es auch verständlich wäre. Auch sein mitgebrachtes Kaugummi musste er nach einer Ermahnung durch die Staatsanwaltschaft entfernen. Auch der Verweis darauf, das Strelow erhebliche Reifeprobleme hätte, "die Psyche sei nicht ausgereift wie man es bei einem Gleichaltrigen erwarten würde", und das dies wohl bei einem Großteil seiner politischen Weggefährten der Fall sei, führte nicht zu einer Auflockerung im Gemüt des Angeklagten.

Nach mehren Unterbrechungen, die darauf zurückzuführen waren, das Strelow damit haderte, seine finanziellen Einkünfte offen zulegen, kam der Prozess gegen 13.30 Uhr zum Ende. Die Beteuerungen des Verteidigers, der fortwährend den Opfercharakter seines Mandanten betonte und beflissentlich versuchte, jeglichen politischen Hintergrund der angeklagten Tat auszuklammern, halfen nicht viel. Das Amtsgericht Stadthagen verurteilte das NPD-Mitglied unter Berücksichtigung seines "unabgeschlossenen Reifeprozesses" schlussendlich zu neun Monaten Haft, ausgesetzt für drei Jahre zur Bewährung, die Strelow mit einem Bewährungshelfer verbringen muss, sowie zu einer Geldzahlung an das Opfer aus Rotenburg.

Wegen seiner vorsätzlich begangenen Körperverletzung mit Hilfe eines gefährlichen Werkzeuges und weil sich Strelow in Kreisen bewegen würde, die ein menschenverachtendes und intolerantes Verhalten an den Tag legen, erteilte das Gericht ihm außerdem die Auflage, einen sozialen Trainingskurs zu besuchen.

Strelow selbst, der sich während des Prozesses auf das Grundgesetz berief, nahm das Urteil mit keiner Mienenregung entgegen und starrte weiter stumm auf ein Stück Papier, auf dem er während der Verhandlung seine Äußerungen vorzuformulieren schien. In seiner Erklärung nach Urteilsverkündung betonte er dann, dass er sich vom Nationalsozialismus distanzieren würde, aus diesem Grund habe er sich auch der NPD angeschlossen, denn dies seien ja Demokraten.


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