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Mindener Tageblatt , 17.02.2007 :

Zu Recht umstritten und vergessen / Der Mindener Heimatdichter Hjalmar Kutzleb im Spiegel neuerer Forschung

Minden (mar). Er war ein Vielschreiber von allenfalls mittlerer Güte und dokumentierte in seinen Texten vor und nach 1933 Nähe zur NS-Ideologie: Der Mindener Heimatdichter Hjalmar Kutzleb (1885 - 1959).

Von Martin Steffen

Seit kurzem liegt eine lange überfällige biographische Skizze über den Autor vor, der zwar zunehmend in Vergessenheit geraten ist, aber gerade in der Nachkriegszeit von manchen kritisiert und von anderen hartnäckig verteidigt worden war.

Fritz W. Franzmeyer hat ein spannendes Bild des Schriftstellers entworfen. Dessen lang anhaltende Beliebtheit in manchen Mindener Kreisen kann auch auf seine Rolle als Mitbegründer des Geschichtsvereins und die Tätigkeit als beliebter und charismatischer Studienrat am damaligen Mädchengymnasium von 1919 bis 1935 zurückgeführt werden, als er an die Hochschule für Lehrerbildung im hessischen Weilburg wechselte.

Zwei Schlüsselromane Kutzlebs, "Morgenluft in Schilda" und "Haus der Genesung" porträtierten das Minden-Bückeburger Land. Ein Historiendrama widmete sich der Schlacht bei Minden 1759. Hinzu kamen Fremdenführertexte und Historisches über die Region. Zumindest ein Detail daraus scheint lange Gültigkeit zu besitzen: Kutzleb riet den per Bahn eintreffenden Besuchern der Weserstadt 1924, nach der Ankunft die Augen so lange zu schließen, bis sie die Innenstadt erreicht hätten. Die Mindener waren nicht amüsiert.

Kutzlebs Gesamtwerk umfasst mehr als 60 Romane und Novellen, einen Gedichtband, dazu allerlei Essays. Trotz dieser beeindruckenden Zahl fehlt sein Name in allgemeinen Literaturgeschichten. Fritz W. Franzmeyer kann nicht ganz falsch liegen, wenn er dies als Indiz dafür nimmt, dass von dem Autor bei allen satirisch-glossierenden Details "nicht viel" zu halten ist. Kein Urteil ist überzeugt besser als das Zitat. Ob in Kutzlebs Sachtexten oder in den Romanen, fast immer stößt der Leser auf Plattheiten und Manierismen, auf eine Mischung altertümelnder Sprache mit modernem Jargon. Manchmal hat Kutzleb sich offenbar im eigenen Satzbau verlaufen.

Romane enthalten antisemitische Stereotype

Wirklich problematisch ist der Ideologe Kutzleb, den Franzmeyer im "unerwartet bedrückenden Verlauf" seiner Beschäftigung mit dem Dichter entdeckt hat: War Hjalmar Kutzleb zunächst ein Anhänger des lebensreformerischen Wandervogels, zeigten seine Veröffentlichungen bereits in den 20er-Jahren unüberlesbare Aversion gegen Sozialstaat und Demokratie und einen tief gehenden Antisemitismus, wie Franzmeyer belegen kann. Die Zitate sprechen für sich - etwa wenn er in der Betrachtung "Die Zeitgenossen" den Liberalismus geißelt und Juden als Zersetzer der Kultur anprangert. Auch in den Romanen arbeitet er mit der suggestiven Diffamierung: "eindeutige" Namen hier, "ostjüdische" Akzente dort. Antisemitische Stereotype tauchen in "Morgenluft in Schilda" ebenso auf wie in "Ein Paar Reiterstiefel", der Novelle über Jobst Hinrich Lohrmann und die Schlacht bei Minden 1759 und sogar in einem Roman über Hermann den Cherusker. Während die Ablehnung von Frauenemanzipation und Republik sich aus der Erzählhandlung entwickelten, so Franzmeyer, seien Kutzlebs antisemitische Angriffe ohne dramaturgische Notwendigkeit als Versatzstücke vielen Werken eingepflanzt worden.

Zwar habe Kutzleb sich 1934 in einem Brief kritisch über "Anpässlinge", "Phrasendrescher" und die "Blähungen der Phantasie halb- und viertelgebildeter Fanatiker" geäußert, was seine Verteidiger als Beleg einer oppositionellen Haltung nahmen, aber davon bleibt beim Blick in Kutzlebs Werke nicht viel übrig. Fritz W. Franzmeyer hat nachgewiesen, das sich diese Vokabeln, mal mehr, mal weniger eigentlich exemplarisch auf Kutzleb selbst anwenden lassen.

Fritz W. Franzmeyer, Hjalmar Kutzleb (1885 - 1959), Mindener Heimatschriftsteller, Gesellschaftskritiker, Antisemit ist erschienen in dem Sammelband Literatur in Westfalen. Beiträge zur Forschung 8, im Auftrag der Literaturkommission für Westfalen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe herausgegeben von Walter Gödden, Aisthesis-Verlag, Bielefeld, 2006.

Bildunterschrift: Den umstrittenen Mindener Heimatdichter Hjalmar Kutzleb porträtiert Fritz W. Franzmeyer für den Sammelband "Literatur in Westfalen".

17./18.02.2007
mt@mt-online.de

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