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Lippische Landes-Zeitung , 06.02.2004 :

Aufräumen mit einer Lebenslüge / Islam ist Teil der europäischen Wirklichkeit geworden

Detmold. "Wenn uns die Entwicklung des Islam nicht eines Tages überfordern soll, müssen wir die Bildung eines demokratischen europäischen Islam unterstützen." Das wäre für Pfarrerin Claudia Schreiber "auch die beste Gewähr gegen eine Radikalisierung der Muslime und gegen islamischen Terrorismus." Die Islambeauftragte der Lippischen Landeskirche sprach im evangelischen Gemeindehaus Bismarckstraße in Detmold bei einer Veranstaltung der Gruppe "Solidarische Kirche".

Fertige Antworten könne sie leider nicht bieten, dämpfte Claudia Schreiber die Erwartungen. Aber Anregungen und Ideen zum Umgang mit den Muslimen im christlich geprägten Europa gab sie durchaus. Die wichtigste These: "Zahl und Einfluss der Muslime werden weiter wachsen. Sie sind Teil unserer gesellschaftlichen Realität geworden. Es ist jetzt an der Zeit, mit der Lebenslüge, die diese Wirklichkeit leugnet, aufzuräumen."

Schon jetzt lebten mehrere Millionen Muslime in Ländern wie Frankreich und Deutschland. Und ihre Zahl werde weiter wachsen. Außerdem bemühten sich die Muslime verstärkt um politischen Einfluss, so durch ein eigenes Vertretungsbüro bei der Europäischen Union in Brüssel. Diese Entwicklung betrachtet Schreiber weniger als Bedrohung denn als Herausforderung: "Wir müssen die Bildung von muslimischen Parallelgesellschaften verhindern. Wir brauchen stattdessen einen liberalen europäischen Islam, unabhängig von Einflüssen aus den ehemaligen Heimatländern der nun in Europa lebenden Muslime."

Eine gewisse Skepsis war angesichts der Ausführungen der Islambeauftragten bei mehreren Zuhörerinnen und Zuhörern erkennbar. Wie hoch ist tatsächlich die Integrationsbereitschaft von Muslimen in die säkularen Gesellschaften Europas? Und müssten diese Gesellschaften nicht zunächst einmal bestimmte Forderungen an Einwanderer aus der Türkei, Marokko oder Pakistan stellen - das Erlernen der jeweiligen Landessprache beispielsweise?

Claudia Schreiber bestritt diese Einwände nicht grundsätzlich. Doch trotzdem sah sie auch Handlungsbedarf für die Staaten und die Kirchen des alten Kontinentes. Nicht nur der Dialog mit den Moscheegemeinden sei wichtig, sondern auch mit muslimischen Künstlern, Intellektuellen, Ärzten, Ingenieuren und Geschäftsleuten. Nur gemeinsam könne man neue Ideen für ein Miteinander der Religionen in Europa suchen.

Auch Islamunterricht an öffentlichen Schulen hält Schreiber für wünschenswert. "In Österreich gibt es ihn bereits." Der Zulauf zu den Koranschulen sinke. Um so wichtiger sei religiöse Unterweisung an öffentlichen Schulen. Hier behalte der Staat durch die Lehrerausbildung und die Schulaufsicht eine viel bessere Kontrolle über die Lehrinhalte. Bislang sei die Einführung von Islamunterricht vor allem daran gescheitert, dass die Muslime keine kirchlichen Strukturen, vergleichbar den christlichen Gemeinschaften, besäßen. Diese seien aber als Ansprechpartner des Staates notwendig. Zur Lösung dieses Problems verwies die Theologin auf das belgische Beispiel. Dort sei eine Vertretung der Muslime aus demokratischen Wahlen heraus gebildet worden.

Schreiber schlug außerdem vor, einen muslimischen Feiertag offiziell in Deutschland einzuführen und dafür - falls notwendig - einen christlichen Feiertag zu streichen.


Detmold@lz-online.de

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