Lippische Landes-Zeitung ,
03.02.2004 :
Vor dem Flug ins Nichts / Bad Salzufler Initiative kämpft gegen die Abschiebung der Familie Apresjan
Bad Salzuflen-Ahmsen (Rei). Ein Freundeskreis kämpft, auch wenn der drohende Termin immer näher rückt. Im Frühjahr könnte es - mal wieder - so weit sein. Dann wird, wenn kein kleines Wunder geschieht, die Ausländerbehörde einen zweiten Versuch starten, die in Ahmsen lebende Familie Apresjan nach Armenien abzuschieben. "Eine menschliche wie finanzielle Katastrophe für die fünf", sagt Stephanie Kleinegrauthoff leise und senkt den Kopf.
Die 16-jährige Lockhauserin nimmt nicht nur Anteil an dem Schicksal der vor sechseinhalb Jahren nach Deutschland gekommenen Familie. Nein, sie will zusammen mit vielen weiteren Mitstreitern - vorrangig Jugendliche - alles dafür tun, dass es nicht zum "Vollzug" kommt. So wie damals, im Juli 2003: "Vor dem Asylbewerberheim standen 40 Freunde und Bekannte. Dann fuhren zwei Bullis mit vergitterten Fenstern vor, und die Familie musste einsteigen. Artak blickte mir noch durch die Gitter im Wagen hinterher. Er weinte, wir alle weinten." Für Kamila Turczynski, eine Klassenkameradin des 17-jährigen Artak Apresjan, ein traumatisches Erlebnis. Eines, das sich nach Willen von Artak aber nicht wiederholen soll. "Er hat gesagt, dass er uns den genauen Termin des nächsten Abschiebeversuchs nicht verraten wird", sagt die Klassenkameradin.
Dass es im Juli nur beim Versuch blieb, lag an Asmik Apresjan. Die Mutter erlitt auf dem Flughafen Düsseldorf einen Schwächeanfall und blieb daraufhin eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus, bevor die Familie zurück ins Heim nach Ahmsen gebracht wurde. "Ich dachte, ich habe eine Erscheinung, als Artak wieder vor mir stand", erzählt Freundin Stephanie, die zusammen mit ihren Mitstreitern die unverhoffte zweite Chance nutzen will.
Über 8000 Unterschriften haben die Jugendlichen gegen die Abschiebung der Familie gesammelt. Auf einer eigens eingerichteten Homepage wird das Schicksal der Familie erzählt, über 600 Gästebuch-Einträge zeugen von großer Anteilnahme. Ferner sammelt die Initiative über das Internet Unterschriften für eine geplante Demonstration: "Wir müssen extra dafür noch mal über 250 zusammen bekommen, damit die Demo genehmigt wird."
Erste Anlaufstelle für die Protestler wäre das Kreishaus, das das für ganz Lippe zuständige Ausländeramt beherbergt. "Allerdings", so Kreis-Pressesprecher Thomas Wolf-Hegerbekermeier, "ist das hiesige Ausländeramt in diesen Fällen nur ausführendes Organ." Die Entscheidung über den Asylantrag der Familie Apresjan fällt in Nürnberg, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (kurz BAFl), das in Bielefeld eine Außenstelle unterhält. "Der Asylantrag der Familie Apresjan ist als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden. Diese Entscheidung ist rechtskräftig, die Familie vollziehbar ausreisepflichtig", sagt Franz Kemper, Leiter des Ausländerbehörde beim Kreis. Von Amts wegen laufe noch eine abermalige Duldungsfrist bis Mitte Februar. Allerdings stünde die Abschiebung dann nicht unmittelbar bevor: "Aus humanitären Gründen werden wir die Familie nicht im Winter nach Armenien abschieben. Das haben wir ihr auch mitgeteilt, aber gleichzeitig auch gesagt: Bitte stellen sie sich darauf ein, dass es im Frühjahr, ab Ende März, so weit sein wird." Kemper findet es bedauerlich, dass die Familie nicht freiwillig ausreist. Vor der Abschiebung muss er noch eine Entscheidung im Eilverfahren des Oberverwaltungsgerichts Münster abwarten. Die Familie hat laut Kemper Einspruch gegen die Ausweisung nach Armenien eingelegt, da dort die psychische Erkrankung der Mutter nicht behandelt werden könne. "Das Auswärtige Amt sagt hingegen, dass dies in Armenien sehr wohl möglich ist", so Kemper.
Aus Sicht des Freundeskreises stünde die ganze Familie bei einer Abschiebung vor dem Nichts. "Artak, der ein guter Schüler ist, will hier die gymnasiale Oberstufe besuchen. Seine ältere Schwester strebt auch das Abitur an. In Armenien wäre all dieses nichts mehr wert. Im Gegenteil: Sie würden dort als gläubige Christen ohne jede Chance sein, als Fremde gelten", erzählt Stephanie. Hinzu kommt, dass die Kleinste der Familie, die fünfjährige Kima, in Deutschland geboren wurde.
Dass der Vater festen Willens sei, seine Familie mit eigener Arbeit in Deutschland zu ernähren, habe er bei einer befristeten Tätigkeit für die Stadt Bad Salzuflen (Stundenlohn: zwei Mark) bewiesen, die ihm darauf hin ein gutes Zeugnis ausstellte (steht ebenfalls auf der Homepage). "Es sind anständige, freundliche, hilfsbereite und fleißige Menschen. Wir können das alles nicht verstehen", schüttelt Stephanies Mutter den Kopf. "Aber vielleicht können die Jugendlichen mit ihrer Initiative ja doch etwas bewirken." Vielleicht ...
Mehr Infos zu dem Fall un zur zuständigen Behörde unter:
www.artakmania.de.vu
www.bafl.de
Stichwort: Asyl in Lippe
In Lippe leben derzeit etwa 1.000 Menschen aus vielen verschiedenen Ländern, deren Asylanträge rechtskräftig abgelehnt sind. Im vergangenen Jahr startete das Ausländeramt des Kreises die Abschiebung von 111 Personen, bei 66 scheiterte dieser Versuch aus unterschiedlichen Gründen (darunter ist auch die fünfköpfige Familie Apresjan). 61 abgelehnte Asylbewerber reisten 2003 freiwillig aus Lippe und Deutschland aus. Das größte Problem bei der Vorbereitung einer Abschiebung ist laut Franz Kemper vom Ausländeramt häufig die Beschaffung von Ersatzpässen, wenn die Priginaldokumente nicht mehr vorliegen. Besonders im Fall von Syrien sei dieses Verfahren "sehr schwierig".
Salzuflen@lz-online.de
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