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Lippische Landes-Zeitung , 02.02.2004 :

Gesichter aus der Menge / Heinz Beckmann über die Begegnung mit Zwangsarbeitern

Detmold (Nv). "Hitler kapuut!" - dieser Freudenschrei der Siegermächte im Mai 1945 ist auch der Titel eines im vergangenen April erschienen Buches. Geschrieben hat es der pensionierte Realschullehrer Heinz Beckmann, der darin die Begegnung mit Zwangsarbeitern in den Jahren 1942 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus der Sicht des damals neun- bis zwölfjährigen Jungen schildert. Die Lesung im Literaturbüro Haus Münsterberg ließ am Freitagabend Gesichter und Gefühle aus einer Menge entstehen, der von den Herrschenden jeglicher Respekt verweigert wurde.

"Ohne Erinnerung wäre unsere Existenz verriegelt und dunkel, sie allein ist Quelle unserer Hoffnung." Die Überzeugung von Elie Wiesel, dessen gesamte Familie im Konzentrationslager Auschwitz ausgelöscht wurde, hat sich Heinz Beckmann angeeignet.

Sicher vermochten Blick und Verstand eines Kindes die Zusammenhänge nicht zu begreifen, wenn in der Nachbarschaft von Lagern und Schwerarbeit in der Industrie geraunt wurde, an der viele der insgesamt vier Millionen Menschen aus den vom Dritten Reich besetzten Ländern zugrunde gingen. Doch zwischen Angst, Neugier und Zuneigung liegende Gefühle entwickelten sich in dem Tausend-Seelen-Dorf nahe Herford ("Eine Oase im Wust des Verbrechens") durchaus.

Wohl absichtlich verschweigt Heinz Beckmann dessen Namen, eben so wie mit Rücksicht auf noch lebende Familienangehörige einige Angaben geändert werden mussten.

"Noch heute stehen mir die Gesichter vor meinem geistigen Auge. Die Zwangsarbeiter sind ein Stück von mir geworden, und sie sind es bis heute geblieben." Heinz Beckmann berichtet von dem Russen Dimitri, der seine Zuneigung zu ihm mit einem groben Rüffel des Bauern bezahlen musste. Nicht einmal die gemeinsame Freude an Papierschwalben wurde gestattet. Die aus Weißrussland stammende junge Magd Anna _ plump, unscheinbar und winzig klein - lebte nur bei der Betreuung der Tiere des Bauernhofes auf. Selbst der sonst äußerst aggressive Wachhund erwiderte ihre Zuneigung.

Kein erfahrener Richter hatte, wie im "Kaukasischen Kreidekreis" des Bertolt Brecht nachzulesen, ein weises Urteil gesprochen. Eine resolute Tante des Erzählers wusste sich nicht anders zu helfen, als der leichtsinnigen Russin Tatjana ihr Neugeborenes einfach in den Arm zu legen. Ihrer Mutterpflichten hatte die lebenslustige Frau zwar grob vernachlässig. Doch, so entschied ihre Arbeitgeberin auf Zeit: Das Kleine gehört nach Kriegsende zur Mutter und damit nach der Heimkehr in eine andere Kultur.

Heinz Beckmann hat niemals versucht, alle diese Menschen zu wieder zu finden. Aber in seiner Familie finden jungen Studenten, vor allem aus den östlichen Ländern, heute freundliche Aufnahme. "Wir belasten sie nicht mit alten Geschichten und hören lieber zu, was sie uns über ihre Heimat zu erzählen haben."


Detmold@lz-online.de

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