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Mindener Tageblatt , 07.12.2006 :

Schlusssteine, die Kraft zum Weitermachen geben / Kölner Bildhauer Gunter Demnig verlegt in Minden weitere "Stolpersteine" / Erinnerung an Opfer des Nazi-Regimes

Minden (mt). "Wenn heute Mittag 18 Stolpersteine in Minden liegen, ist das ein Pfad, den man gut gehen kann", sagt Hans Langescheid. Gerade hat der Künstler Gunter Demnig weitere Messingplatten in den Boden gelassen.

Von Monika Jäger und Hans-Jürgen Amtage

Seit 1993 arbeitet Demnig an diesem "dezentralen Denkmal von unten", das inzwischen eine große Dynamik entwickelt hat. Im kommenden Jahr sei er schon so gut wie ausgebucht, erklärt der Künstler am Rande der Stein-Verlegungen in Minden. Immer häufiger kämen mittlerweile auch Angehörige der Toten. Ein Angehöriger habe neulich erst erklärt, die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten seien sicher keine Grabsteine - eher Schlusssteine, durch die ein Kapitel abgeschlossen und die Kraft zum Weitermachen gewonnen werden könne.

An der Kampstraße, der Videbullenstraße und der Simeonstraße setzte Demnig gestern seine Aktion fort, die vor rund zwei Jahren in Minden unter anderem von Hans Langescheid und Sabine Schulz von der Friedenswoche angeregt und mit etwa einem Dutzend Unterstützern organisiert wurde. Sie recherchierten die Schicksale verschiedener Mindener Opfer des Nazi-Terrors, darunter die schwerstbehinderte Hedwig Frieda Hempel aus der Simeonstraße 29 (das MT berichtete am 28. November), Mitglieder der Familie Ingeberg und Kuschinski sowie das Schicksal von Josef Schweid.

Schweid wurde 1902 in Warschau geboren. Nach einer kaufmännischen Ausbildung war er als selbstständiger Vertreter tätig. Er wohnte in der Videbullenstraße 22. 1938 wurde er vom NS-Regime als polnischer Staatsbürger verhaftet und an die polnische Grenze abgeschoben. Von dort konnte er sich bis in seine Geburtsstadt Warschau durchschlagen.

Im Sommer 1939 kam er mit der Genehmigung der deutschen Behörden noch einmal nach Minden zurück, um seine Geschäfte und privaten Angelegenheiten abzuwickeln. Bevor er Ende August wieder nach Polen reisen will, wird er - vermutlich am 1. oder 2. September 1939, als NS-Deutschland gerade Polen überfallen hatte - verhaftet und ins Konzentrationslager Oranienburg deportiert. Am 28. Mai 1942 wurde Josef Schweid im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet: Er wurde auf Befehl erschossen. Seine verwitwete Mutter sowie seine acht jüngeren Geschwister schafften es, nach New York auszuwandern. Auch Josef Schweid hatte für seine Auswanderung in die USA bereits im Sommer 1938 Vorsorge getroffen, war von den amerikanischen Behörden bereits in eine Liste Einwanderungswilliger aufgenommen worden und hatte den Bescheid erhalten, sich jederzeit für seine Auswanderung bereitzuhalten.

Am 28. Oktober 1938 wurde Hirsch (Herz) Wolf Ingberg zusammen mit den drei jüngeren Kindern Moritz Isaak, David und Erika - die älteste Tochter konnte in die USA auswandern - nach Zbaczyn (Bentschen, Polen) deportiert. Anfang Juli 1939 kehrte er noch einmal allein nach Minden zurück, um sein Vermögen zu liquidieren. Zusammen mit seiner Frau Soscha wurde er dann am 17. Juli 1939 nach Zbaczyn (Bentschen, Polen) abgeschoben und nach dem Angriff der deutschen Truppen auf Polen Anfang September 1939 ins Konzentrationslager Otwock im Kreis Warschau verbracht. Dort verstarb Hirsch Wolf Ingberg am 15. Januar 1943. Die genaueren Umstände seines Todes sind nicht bekannt. Ob Soscha Ingberg in Otwock starb oder ob sie mit den drei Kindern ins Warschauer Ghetto verbracht wurde, ist nicht geklärt. Sie wurde am 16. September 1949 für tot erklärt, weil sie nicht aus dem Lager zurückkehrte.

Moritz, David und Erika werden den Aufstand im Warschauer Ghetto, der im April 1943 von den Nationalsozialisten brutal niedergeschlagen wurde, nicht überlebt haben.

Weitere Infos zu der Mindener Aktion: www.friedenswoche-minden.de/projekte/Stolpersteine1.html

Bildunterschrift: Ins Metall gehämmert: Die Namen und Schicksale von ehemaligen Mindener Bürgern - Juden, von Nazi-Schergen ermordet. In 196 deutschen und acht österreichischen Städten liegen mittlerweile rund 10.000 solcher Steine - jeder ein Stück Erinnerung.


mt@mt-online.de

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