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Bielefelder Tageblatt (OH) / Neue Westfälische , 29.01.2004 :

Rathaus-Chef in schwerer Zeit / Prießallee erinnert an ehemaligen Oberbürgermeister von 1932 bis 1935

Von Martin Fröhlich

Bielefeld. Städte benennen Straßen nach ehemaligen Oberbürgermeistern, um die Erinnerung an jene wach zu halten. In Bielefeld gibt es eine Prießallee, doch Dr. Paul Prieß ist etwas in Vergessenheit geraten. Drei Jahre lenkte er die Geschicke der Stadt, ehe er im Alter von 56 Jahren am 24. März 1935 bei einer Darmoperation in seiner Heimatstadt Langendreer verstarb.

Prieß trat am 1. April 1932 ein schwieriges Erbe an: Der Schatten des Vorgängers war lang, die gesellschaftlichen Umstände hätten kaum schlechter sein können. Prieß folgte auf Rudolf Stapenhorst, der 37 Jahre die Stadt geprägt hatte. Kaiserreich, 1. Weltkrieg, Weimarer Republik - durch all diese geschichtlichen Abschnitte waren die Bielefelder mit der Identifikationsfigur Stapenhorst gegangen. Fast farblos wirkte Paul Prieß gegen seinen volksnahen Vorgänger: "Objektiv, sachlich, vorurteilsfrei", so beschrieb er sich selbst beim Amtsantritt.

1911 kam Prieß als Beigeordneter ins Bielefelder Rathaus. Sein Aufstieg begann erst nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er eine schwere Verwundung und russsiche Kriegsgefangenschaft überlebt hatte. Der ehemalige Stadtassessor von Essen genoss bald den Ruf eines vielseitigen Verwaltungsfachmanns. Seine Aufgaben erstreckten sich über Schulwesen, Polizei, Büchereiwesen, Feuerlöschwesen, Markt-, Betriebsamts- und Arbeiterangelegenheiten sowie Rechtsfragen. Kaum jemand in der Verwaltung kannte die 1932 etwa 130.000 Einwohner zählende Stadt so wie Prieß.

Als OB wollte er - wie schon als Beigeordneter - für die Selbstverwaltung der Stadt in möglichst allen Bereichen kämpfen: Sein Ziel sei, dass "der Bürger sich eins fühlt mit seiner Stadt, Städtisches als Eigenes empfindet", zitierte ihn die Westfälische Zeitung damals.

Doch dieses Ziel rückte bald in den Hintergrund. Nur ein Jahr nach Prieß' Amtsantritt begann die NS-Diktatur. Länder und Kommunen wurden gleichgeschaltet, alle Parteien neben der NSDAP wurden gezwungen, sich aufzulösen. An kommunale Selbstverwaltung war nicht mehr zu denken.

Obwohl kein NSDAP-Mitglied, blieb Paul Prieß Oberbürgermeister. Sein Wirken ab 1933 zu bewerten, fällt schwer. Gegner des Regimes wurden umgehend ihrer Ämter enthoben. Im April 1933 wurden Bürgermeister Köllner und Intendant Max Cahnbley beurlaubt, der sozialdemokratische Stadtrat Binder wurde entlassen - Vorgänge, die Prieß formell abgesegnet hat. Makel, die bis heute auf seiner Amtszeit lasten.

1936 benannte die Stadt unter Führung des neuen Oberbürgermeisters Fritz Budde, einem führenden NSDAP-Mitglied, einen Teil der Oststraße in Prießallee um. An Paul Prieß scheiden sich bis heute die Geister: Für die einen ist er ein Mitläufer der Nazi-Diktatur gewesen, für andere ein verdienter Verwaltungsbeamter der Stadt.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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