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WebWecker Bielefeld , 28.01.2004 :

SS-Siggis Kumpel

Von Mario A. Sarcletti

Am Montag wurde in der Volkshochschule die Ausstellung "Tatort Stadion – Rassismus und Diskriminierung im Fußball" eröffnet. Bei der Eröffnung prüften auch gleich ein paar "Fans", ob sie auf den Fotos zu erkennen sind.

"Ey, da is ja der Siggi", freut sich ein Mann mit geschorenen Haaren und Bomberjacke offensichtlich, ein bekanntes Gesicht an einer der dreißig Schautafeln der Ausstellung "Tatort Stadion" entdeckt zu haben. Der, den der offensichtlich Szenekundige erkannt hat, war in den 80er-Jahren Anführer der Borussenfront und in der Szene als "SS-Siggi" bekannt. Der Dortmunder Fanclub machte als erster bundesweit Schlagzeilen als Sammelbecken für Nazis. Seine Mitglieder zeigten Nazisymbole, verteilten NPD-Propaganda und eröffneten ihre Sitzungen mit "Sieg Heil"-Rufen. Das alles lernen Besucher der Ausstellung auf einer Tafel in der Abteilung "Tat-Zeit" der Ausstellung.

Der Kurzgeschorene vor der Tafel ist nicht allein zur Ausstellungseröffnung gekommen. Ein knappes Dutzend der Besucher trägt einschlägige Kleidung, einer hat runenähnliche Zeichen auf seinem "Thor Steinar Division"-Sweatshirt. Die gibt es auch beim rechtsradikalen Sleipnir-Versand aus Verl zu kaufen, der vor kurzem eine Station einer Antifaschistischen Bustour zu Rechtsrockzentren in der Region war (WebWecker berichtete). Im Sleipnir-Shop gibt es das Sweatshirt auch mit einem Maschinengewehr auf der Brust, darunter der Spruch "Weidmanns Heil".

Dass diese Besucher die Ausstellung nicht unbedingt begeistert aufnehmen, ist auch daran zu erkennen, dass sie den Rednern den Applaus verweigern. Einer von ihnen ist CDU-Bürgermeister Detlef Helling. Er weist darauf hin, dass Bielefeld – verglichen mit anderen Städten - kein massives Problem mit rechtsextremen Fußballfans hat. "Das heißt aber nicht, dass wir uns beruhigt zurücklehnen können", mahnt er zur Auseinandersetzung mit dem Thema, das nicht nur eines im Fußball ist: "Rassismus gibt es in dieser Gesellschaft", verweist er auf das, was Ausstellungsmacher Gerd Dembowski "Stadion als Spiegel der Gesellschaft" nennt.

Peter Widany vom Sport- und Kulturklub SuK, der sich die Integration von Migranten durch Sport zum Ziel gesetzt hat, betont, dass Rassismus nicht nur um den Fußballplatz stattfindet, sondern auch auf ihm. Lutz Konopka vom Arminia-Fanclub "The Firm" verweist zur Untermauerung von Widanys Aussage auf den Trainer des multikulturellen Regionalligisten VFB Fichte. "Fragen sie mal Mario Ermisch, was er und seine Spieler da oft erleben müssen", nennt er einen Kronzeugen. Der Rassismus unter Spielern ist dabei vor allem ein Phänomen der unteren Ligen, aber nicht nur. So beschimpfte der Kölner Profi Paul Steiner seien Gegenspieler Souleman Sane mit den Worten: "Scheiß Nigger, hau ab! Was willst du in Deutschland?". Solche und andere rassistische Sprüche von bekannten Fußballprofis und Trainern finden sich in der Abteilung Kabinengeflüster der Ausstellung.

Gesammelt hat das Material über Rechtsextremismus und Fußball das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF). Das wurde vor elf Jahren gegründet, damals noch als Bündnis Antifaschistischer Fußball Fans. "Dass wir den Namen geändert haben, hat nichts mit einer Sozialdemokratisierung von uns zu tun, wir haben uns auch um andere Themen gekümmert", erklärt Gerd Dembowski. Dazu gehört etwa der Erhalt von Stehplätzen in den Stadien, Polizeiübergriffe gegen Fans oder auch Sexismus und Homophobie im Fußball, die auch in der Ausstellung thematisiert werden. Schwerpunkt blieb aber das Sammeln von rechtsextremen Vorfällen, Sprüchen, Fanzeitschriften und Symbolen rund um den Fußball. Nachdem die EU Gelder bereitstellte, machte BAFF aus der Sammlung eine Ausstellung.

So sind jetzt in der Volkshochschule auch rechtsextreme Fanschals zu sehen. An der Wand über einem Pissoir kleben von Stadiontoiletten gekratzte Aufkleber. Immer wieder taucht da Rudolf Hess auf, ein Aufkleber der Jungen Nationaldemokraten JN trägt den Slogan: "BRD heißt das System, morgen wird es untergehen." Zudem informiert die Ausstellung über die aktuell von der Naziszene verwendeten Symbole. "Die Nazis operieren heute oft verdeckt", weiß Gerd Dembowski. Während früher Hakenkreuze gezeigt wurden, trägt der rechte Fan heute ein Trikot mit der Nummer 18. Die Ziffern stehen für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, das A und das H, die Kombination steht für Adolf Hitler.

Darüber aufzuklären ist eine der Intentionen der Ausstellungsmacher, sowohl Jugendliche als auch Institutionen wie Vereinen oder den Deutschen Fußballbund DFB. Bei dem hat BAFF auch erreicht, dass der Verband einen 10 Punkte-Plan gegen Rassismus verabschiedete. Ein Antirassismusparagraph in der Stadionordnung ist Voraussetzung für die Lizenz für einen Verein.

"Tatort Stadion" mochte der DFB dennoch nicht unterstützen, 10.000 Mark wurden den Ausstellungsmachern entzogen, weil auch DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder eine Tafel in der Ausstellung gewidmet ist. Der sah als Kultusminister in Baden-Württemberg einen Bedarf an "nationalem Stolz" bei Jugendlichen und bemerkte dass es Schülern nicht schaden könne, alle drei Strophen des Deutschlandliedes zu singen. Im "Spiegel" befürchtete Mayer-Vorfelder 1989 einen Mangel an deutschem Blut in der höchsten Spielklasse: "Was wird aus der Bundesliga, wenn die Blonden über die Alpen ziehen und statt dessen die Polen, diese Furtoks und Lesniaks spielen", sagte er im Interview.

Sein Bekenntnis aus dem Jahr 2001 stolz darauf zu sein, ein Deutscher zu sein, setzt fast schon eine Tradition des DFB fort, wie die Ausstellung zeigt. Der erste Präsident des Fußballbundes nach dem Krieg, Peco Bauwens, bezeichnete Österreich im Bayrischen Rundfunk als "Enklave", deren Bewohnern es nicht vergönnt sei, "mit dem Vaterland vereint zu sein", informiert eine Ausstellungstafel.

Mit dem Problem Rassismus in den Stadien setzt sich der Fußballbund seit 1992 auseinander, seit nach der Wiedervereinigung die Übergriffe auf Migranten massiv anstiegen. Glaubt man einem Sprecher des Verbandes waren die Kampagnen höchst wirksam. Vor dem EU-Parlament behauptete dies zumindest Horst R. Schmidt im Jahr 2000: "Der Erfolg setzte schnell ein. Das Problem ist heute fast verschwunden", sagte der Fußballfunktionär. Die Zentrale Informationsstelle Sport der Polizei widerlegt seine Einschätzung allerdings: Nach der stieg die Präsenz von Rechtsextremisten in der 1. Bundesliga in der Saison 1999/2000 gegenüber der vorigen um 8 Prozent an, in der 2. Liga um115 Prozent. Nach Angaben der Polizei gab es in 23 Standorten personelle Überschneidungen zwischen Rechtsextremisten und Fußballfans.

Die gab es auch schon in den 80er-Jahren. So hatte ein Frankfurter Fanclub Kontakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Beim Länderspiel BRD gegen die Türkei 1983 tauchten erstmals rechtsextreme Flugblätter auf: "Wir – zum Teil jugendliche Fußballfans – müssen uns erheben und gemeinsam Front machen gegen die Türkenschwemme. Nur Gewalt kann uns befreien", hieß es auf den Pamphleten. Im gleichen Jahr antwortete der FAP-Führer Michael Kühnen auf die Frage nach Orten, an denen er Nachwuchs rekrutiert: "Unter Skinheads und Fußballfans, die uns sehr helfen aber politisch noch nicht zu uns gehören".

Zeitgleich begannen auch hinter dem antifaschistischen Schutzwall Neonazis den Fußballplatz als Rekrutierungsort zu entdecken. In Berlin entstand ein Fanclub namens Zyklon B, andere hießen Endsieg oder Wannseekonferenz. Westdeutsche Neonazis unterstützten die Szene im Osten.

Einige der Tafeln der Ausstellung sind auch der Region gewidmet. Da ist unter anderem zu sehen, wie ein Mitglied des Fanclubs "The Freshmakers" mit einem Pullovers des Clubs Ordner bei einer Nazidemo ist. Auch vor diesen Tafeln freuen sich bei der Ausstellungseröffnung die Angehörigen der Szene über bekannte Gesichter.

Der größte Verein der Region, der DSC Arminia Bielefeld, schließt sich bei der Ausstellung dem Vorbild anderer Vereine an und unterstützt die Ausstellung. So hatte Hannover 96 sogar auf der Anzeigentafel für die Schau geworben. Auch Arminias Geschäftsführer Roland Kentsch, bei der Eröffnung ebenso dabei wie Präsident Hans-Hermann Schwick, will bei dem nächsten Heimspiel Werbung im Stadion machen. "Ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass wir zu jeder Zeit Obacht geben, dass wir keine rassistischen oder fremdenfeindlichen Tendenzen in unseren Stadien haben. Deshalb finde ich das auch sehr verdienstvoll, was in den nächsten vier Wochen hier zu sehen sein wird", begründet er die Unterstützung des Vereins für "Tatort Stadion". Geht es nach ihm, wird es bei diesen vier Wochen Engagement gegen Rassismus nicht bleiben. "Es gilt vielmehr das ganze Jahr über durch vielfältige Maßnahmen dafür zu sorgen, dass solche Tendenzen keinen Nährboden finden, da es die ja doch immer wieder gibt." Dass diese Tendenzen auch die Ausstellungseröffnung besuchen, war schon eine Überraschung.

Info: Am 29. Januar findet die nächste Begleitveranstaltung der Ausstellung statt, eine Talkrunde mit dem Titel: "Fußball und Homophobie – Schwule im Stadion." Beginn ist um 19.30 Uhr im Raum 117 der Volkshochschule. Am kommenden Dienstag folgt eine zur WM 2006.


webwecker@aulbi.de

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